Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
wenige überflüssige Bewegungen machte wie er selbst.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke: Sie ist wie eine Zigeunerin.
Er bemerkte, daß auch sie ihn studierte. Und sie zeigte dabei eine ungewöhnliche Reaktion. Die meisten Menschen, die ihn zum ersten Mal sahen, fingen plötzlich an, dumm zu grinsen, wurden rot wie eine Tomate und fixierten dann fast zwanghaft seine Stirn, damit ihre Augen nur ja nicht zu seinem beschädigten Körper herabgleiten konnten. Percey hingegen musterte nur einmal kurz sein Gesicht ein gutaussehendes Gesicht mit feinen Lippen und einer Tom-Cruise-Nase, das ihn deutlich jünger als Mitte Vierzig wirken ließ und ließ ihre Augen rasch über seine bewegungslosen Arme und Beine und seinen Torso wandern. Dann aber konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit ganz auf seine Behinderten-Ausrüstung -den glänzenden Storni Arrow Rollstuhl, den Mundkontrollschlauch, das Kopfhörermikrofon und den Computer.
Thom kam herein und trat neben Rhyme, um seinen Blutdruck zu messen.
»Jetzt nicht!« befahl sein Boß.
»Doch, jetzt.«
»Nein.«
»Keine Widerrede.« Thom maß ungerührt den Blutdruck. Dann legte er das Stethoskop zur Seite und sagte: »Gar nicht schlecht, aber du bist müde und hast in letzter Zeit zuviel gearbeitet. Du brauchst jetzt etwas Ruhe.«
»Verschwinde«, grummelte Rhyme. Er wandte sich wieder Percey zu. Weil er ein Krüppel war, ein Querschnittsgelähmter, ein unvollständiger Mensch, schienen Besucher oft zu denken, er könne sie nicht verstehen. Deshalb versuchten sie, besonders langsam zu reden oder ihn über Thom anzusprechen. Percey aber wandte sich nun in ganz normalem Gesprächston an Rhyme und machte damit viele Pluspunkte bei ihm.
»Sie glauben, daß Brit und ich in Gefahr sind?«
»O ja. Das sind Sie. In großer Gefahr.«
Sachs kam herein und warf Percey und Rhyme einen kurzen Blick zu. Er stellte sie vor.
»Amelia?« fragte Percey. »Sie heißen wirklich Amelia?«
Sachs nickte.
Ein schwaches Lächeln erschien auf Perceys Gesicht, und sie wandte sich halb zu Rhyme um.
»Ich wurde nicht nach ihr benannt - ich meine, nach der Fliegerin«, sagte Sachs, die sich wohl erinnert hatte, daß Percey Pilotin war. »Ich bekam den Namen einer Schwester meines Großvaters. War Amelia Earhart Ihre Heldin?«
»Nein, nicht wirklich«, antwortete Percey. »Es ist nur ein witziger Zufall.«
Hale fragte: »Sie werden sie doch bewachen lassen? Rund um die Uhr?«
Er deutete auf Percey.
»Natürlich, da können Sie drauf wetten«, versicherte Dellray.
»Okay«, sagte Hale. »Sehr gut... Eins ist mir noch eingefallen. Ich finde, Sie sollten auf jeden Fall mit diesem Kerl reden, diesem Phillip Hansen.«
»Mit ihm reden?« wiederholte Rhyme.
»Mit Hansen?« fragte auch Sellitto. »Klar, aber er bestreitet alles und ist nicht bereit, auch nur ein Wort mehr zu sagen.« Er sah Rhyme an. »Ich hatte die Zwillinge eine Zeitlang auf ihn angesetzt.« Hale erklärte er: »Das sind unsere beiden besten Vernehmungsbeamten. Aber er hat die Schotten komplett dichtgemacht. Bisher also kein Glück.«
»Können Sie ihm nicht irgendwie drohen?«
»Hhm, nein«, sagte der Kriminalbeamte. »Ich wüßte nicht, womit.«
»Das hat auch keinerlei Bedeutung«, unterbrach Rhyme. »Es gibt ohnehin nichts, was Hansen uns sagen könnte. Der Tänzer trifft seine Kunden niemals von Angesicht zu Angesicht, und er verrät ihnen auch nie, wie er den Job erledigen wird.«
»Der Tänzer?« fragte Percey.
»So nennen wir den Killer. Den Totentänzer.«
»Totentänzer?« Percey lachte leise auf, als habe der Name eine Bedeutung für sie. Aber sie ließ sich nicht weiter aus.
»Na, das klingt ja ziemlich gruselig.« Hale wirkte skeptisch, als sollten Polizisten seiner Meinung nach keine schaurigen Namen für ihre bösen Jungs erfinden. Rhyme mußte ihm innerlich recht geben.
Percey sah Rhyme in die Augen, die fast ebenso schwarz waren wie die ihren. »Also, was ist mit Ihnen passiert? Wurden Sie angeschossen?«
Sachs - und auch Hale - zuckten bei diesen schonungslos direkten Worten zusammen, aber Rhyme störte sich nicht daran. Er schätzte Menschen, die ebensowenig Sinn für übertriebenes Taktgefühl hatten wie er selbst.
Gelassen antwortete er: »Ich war dabei, einen Tatort zu untersuchen, auf einer Baustelle. Ein Balken krachte herunter. Hat mir das Genick gebrochen.«
»Wie der Schauspieler. Dieser Christopher Reeve.«
»Genau.«
Hale sagte: »Das war hart, Mann. Aber er ist tapfer. Ich hab ihn im
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