Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
tun. Und während sie lachten, nahm er heimlich ein paar Schlucke von ihrem Bourbon.
Dann dachte sie daran, wie er sich oft zu ihr herabgebeugt und ihre Schulter geküßt hatte. Wenn sie sich liebten, hatte er sein Gesicht genau an die Stelle geschmiegt, wo ihr Hals in die zierliche Schulter überging, und Percey Clay hatte das Gefühl, daß sie zumindest an dieser einen Stelle eine schöne Frau war.
Ed...
Alle Sterne der Nacht...
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie starrte in den grauen, unheilverkündenden Himmel. Sie schätzte die Wolkenuntergrenze auf eintausendfünfhundert Fuß, Wind 090 bei fünfzehn Knoten. Scherwinde. Sie richtete sich in ihrem Sitz auf. Brit Hales starke Hand hielt ihren Unterarm umklammert. Jerry Banks erzählte irgend etwas. Sie hörte nicht hin.
Percey Clay traf eine Entscheidung. Sie griff zum Mobiltelefon.
3. Stunde von 45
Die Sirene heulte.
Lincoln Rhyme erwartete, den Doppier-Effekt der sich entfernen
den Sirenen zu hören, sobald der Polizeiwagen vorbeigerast wäre. Aber genau vor seinem Haus heulte die Sirene noch einmal auf und verstummte dann. Einen Augenblick später führte Thom einen jungen Mann in das Labor im Erdgeschoß. Er hatte kurzgeschnittenes Haar und trug eine blaue Uniform. Als der Staatspolizist aus Illinois die Uniform gestern angezogen hatte, war sie vermutlich gebügelt und blitzblank gewesen, doch jetzt war sie verknittert und voller Dreck und Ruß. Er war wohl mit einem elektrischen Rasierer über seine Wangen gefahren, aber der hatte nur wenig Spuren in seinen dunklen Barthaaren hinterlassen, die einen eigenartigen Kontrast zu seinem dünnen, gelblichen Haar bildeten. Er trug zwei große Segeltuchtaschen und eine braune Aktenmappe, und Rhyme hatte sich die ganze Woche über nicht so sehr gefreut wie jetzt, jemanden zu sehen.
»Die Bombe!« rief er. »Hier ist die Bombe!«
Der Beamte wunderte sich bestimmt über die seltsame Ansammlung von Gesetzeshütern und das, was nun mit ihm veranstaltet wurde. Kaum war er im Raum, entriß ihm Cooper die Taschen, Sellitto schmierte in aller Eile seine Unterschrift auf die Empfangsbescheinigung und die Begleitpapiere und drückte sie ihm wieder in die Hand. Mit einem genuschelten »Danke, auf Wiedersehen, bis bald« wurde er Richtung Tür geschoben, und schon hatte sich der Kriminalbeamte wieder dem Tisch mit den Beweismitteln zugewandt.
Thom lächelte dem Polizisten höflich zu und führte ihn hinaus.
Rhyme rief: »Aufgeht's, Sachs. Warum stehen Sie da noch rum? Was haben wir?«
Sie warf ihm ein kühles Lächeln zu und trat an Coopers Tisch, wo der Techniker den Inhalt der Taschen sorgfältig auszubreiten begann.
Was war heute ihr Problem? Eine Stunde war genügend Zeit, um einen Tatort zu durchsuchen - falls es das war, was sie ärgerte. Nun, er mochte es, wenn sie gereizt war. Er selbst war dann immer am besten in Form. »Okay, Thom. Du mußt uns helfen. Geh an die Tafel. Wir müssen die Beweismittel auflisten. Mach uns ein paar Tabellen. >To eins< ist die erste Überschrift.«
»T, ähm O?«
»Tatort«, schnappte der Kriminalist. »Was sollte es denn sonst sein? >To eins, Chicago<«
Bei einem seiner letzten Fälle hatte Rhyme noch die Rückseite verblichener Poster des Metropolitan Museum für seine Tabellen verwendet. Nun war er bestens ausgerüstet -mehrere große Tafeln hingen an der Wand und verströmten einen Geruch, der ihn an Frühlingstage in seiner muffigen Schule im Mittleren Westen erinnerte, an seine große Vorliebe für den Wissenschaftsunterricht und seinen Haß auf Buchstabierwettbewerbe.
Der Adlatus warf seinem Boß einen entnervten Blick zu, griff nach der Kreide, wischte ein paar Staubkörner von seiner perfekt gebundenen Krawatte und seiner Hose mit der messerscharfen Bügelfalte und begann zu schreiben.
»Was haben wir, Mel? Sachs, helfen Sie ihm!«
Sie begannen, die Plastikbeutel und Plastikbecher zu entleeren. Den Inhalt, Asche, Metallreste, Fasern und jede Menge Plastik, verteilten sie in Keramikschalen. Die Spurensicherungsbeamten an der Absturzstelle mußten Magnetroller, große Staubsauger und viele feinporige Gittersiebe benutzt haben, um die Überreste aufzusammeln - sofern sie den Männern und Frauen ebenbürtig waren, die Rhyme ausgebildet hatte.
Rhyme war auf den meisten Gebieten der Forensik ein Experte, aber was Bomben betraf, war er eine unangefochtene Autorität. Er hatte kein besonderes Interesse an diesem Thema gehabt, bis der Tänzer in einem
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