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Letzter Weg

Letzter Weg

Titel: Letzter Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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geworden wäre.«
    »Vielleicht«, bestätigte Lucia.
    »Sie haben immer gesagt, Tina würde in Naples leben.«
    Lucia nickte und nippte an ihrem Tee.
    »Das Foto«, sagte Grace, »das immer auf Ihrem Schreibtisch gestanden hat …«
    »Ja«, sagte Lucia. »Das ist in unserer Wohnung in Naples aufgenommen worden.«
    »Zeigt es Sie und Kez?« Grace wollte sicher sein.
    Wieder nickte Lucia. »Sie hat dort mit Gina und Joey gelebt. Und dann, nachdem Joey gestorben war und Gina keine Mom mehr sein wollte, haben Phil und ich die Miete übernommen. Wir haben auch für eine Haushälterin bezahlt, und Kez haben wir zu uns geholt, wann immer es ging.«
    »Es war Glück für Gina, dass sie Sie gehabt hat«, bemerkte Grace, »und für Kez war es wunderbar.«
    Oder vielleicht auch nicht, ging ihr durch den Kopf.
    »Sie haben also herausgefunden, dass ich ihre Tante bin«, sagte Lucia. »Anhand des Fotos.« Sie hielt kurz inne. »Sie haben meine Schublade aufgebrochen – das müssen Sie, wenn Sie das Foto gesehen haben. Andernfalls hätten Sie sich nie daran erinnert.«
    »Nein«, bestätigte Grace. »Es tut mir leid, dass ich in Ihre Privatsphäre eingedrungen bin.«
    Lucia zuckte mit den Schultern. »Ich hätte es mitnehmen sollen. Ich weiß gar nicht, warum ich es nicht getan habe.« Erneut legte sie eine kurze Pause ein. »Vielleicht wollte ich, dass Sie es wissen.«
    »Ja, vielleicht.« Grace schaute auf ihre Schultertasche. »Ich habe das Foto übrigens mitgebracht, wenn Sie es haben wollen.«
    »Behalten Sie es ruhig«, sagte Lucia. »Man weiß nie, wann es vielleicht einmal von Nutzen sein könnte.«
    Schweigend saßen sie eine Zeitlang nebeneinander.
    »Von da an ging es weiter.« Lucia kehrte in die Vergangenheit zurück. »Sie wissen ja, wie das sein kann: Je mehr man für einen Menschen tut, desto mehr erwartet er von einem. Gina war so jemand. Wir haben Kez durch die Schule gebracht, haben sie zum Lauftraining ermutigt, und später, als sie zur Trent University gegangen ist, habe ich ihr geholfen, eine eigene Wohnung in Grove zu finden. Gina war zu diesem Zeitpunkt längst mit einem anderen Mann abgehauen.«
    »Aber die Wohnung in Naples haben Sie auch behalten.«
    »Weil ich zu diesem Zeitpunkt wusste«, erklärte Lucia mit fester Stimme, »dass Kez sie brauchte. Hinterher ist sie immer dorthingefahren … wie ein Tier, das sich versteckt, um sich die Wunden zu lecken.«
    Hinterher.
    Das Wort und seine Implikationen – und mehr noch Lucias unnatürliche Ruhe, ohne auch nur den Versuch des Leugnens – machten es Grace schwer, die Fassung zu wahren.
    »Ich weiß, dass Kez schreckliche Dinge getan hat«, fuhr Lucia fort. »Aber ich hatte immer das Gefühl, dass auch sie selbst verletzt war.« Wieder hielt sie inne. »Ist Ihr Tee gut, Grace?«
    »Ja.« Grace trank ein wenig, schmeckte aber kaum etwas; sie nippte nur daran, weil sie es für höflich hielt. »Danke.«
    »Ich habe gesagt, Tina sei meine Fantasienichte gewesen, und das ist wahr, denn natürlich hat sie nie existiert. Doch es gab tatsächlich eine Verbindung zwischen Tina und Kez. Beide teilten sich die Wohnung in Naples, und natürlich habe ich sie beide geliebt.« Sie nippte an ihrem Tee. »Ich habe Kez von Herzen geliebt, aber ich wusste, dass sie ein böser Mensch war.«
    »Nach dem zu urteilen, was Cathy mir erzählt hat«, sagte Grace in nach wie vor sanftem Tonfall, »hat sie sich unwohl gefühlt.«
    »Daran besteht kein Zweifel«, sagte Lucia. »Sie hatte diese Krankheit – ich habe es in einem Ihrer Bücher über Psychosen nachgelesen.« Sie seufzte. »Sie hat sich für hässlich gehalten, wissen Sie?«
    »Ich wünschte, Sie hätten mir davon erzählt«, sagte Grace. »Wenn Kez unter einem solchen Komplex gelitten hat, kann das sehr grausam sein. Einige Leute beziehen das nur auf Teile ihres Körpers, meist aufs Gesicht, manchmal aber auch auf den ganzen Leib.«
    »Aber nur wenige ziehen deswegen durch die Gegend und bringen Menschen um, nicht wahr?«
    Grace schwieg.
    »Schweigen«, sagte Lucia. »Die Standardreaktion aller Psychologen.« Sie lächelte gequält. »Das muss sehr hart für Sie sein. Sie sind stets freundlich und mitfühlend.«
    »Sie sind meine Freundin«, sagte Grace.
    »Kez hat Saul etwas Schreckliches angetan«, sagte Lucia.
    »Aber sie hat es getan, nicht Sie, Lucia. Und wie wir übereingekommen sind, war Kez sehr krank.«
    »Ich wette, Ihr Mann sieht das nicht so«, sagte Lucia.
    »Vielleicht noch nicht«, erwiderte

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