Letzter Weg
lauschte sie aufmerksam dem Polizeifunk, aus Angst, etwas zu verpassen.
»Um Himmels willen, Teté«, sagte Saul. »Nicht schon wieder.«
Terri hob den Blick. »Hi, Baby.« Sie sah sein Gesicht. »Bitte, sei nicht sauer.«
»Ich bin nicht sauer.« Saul setzte sich auf den Teppich neben sie. »Ich mache mir eher Sorgen.«
»Es gibt keinen Grund, sich wegen mir Sorgen zu machen.«
»Es gibt sogar allen Grund dafür.« Saul schaute ihr über die Schulter. »Du bist besessen.«
»Sag das nicht«, entgegnete Terri in scharfem Ton.
»Wenn du aufhören würdest, das Zeug zu lesen, würde ich es auch nicht sagen müssen .«
Sie schlug die Aktenmappe zu, stand auf, steckte ihre Notizen in eine Tuchtasche auf dem Tisch und funkelte zu ihm hinunter. »Zufrieden?«
»Sieh zu, dass du sie loswirst«, sagte Saul, »dann werde ich zufrieden sein.«
»Was ist so schlimm daran, wenn ich mehr über meine Arbeit erfahren will?« Terri setzte sich wieder neben ihn auf den Boden.
»Das ist nicht deine Arbeit, Teté«, entgegnete Saul. »Das ist die Arbeit meines Bruders.«
Terri beäugte ihn angewidert und stand wieder auf. »Diese Akten gehören nicht deinem tollen Bruder. Sie gehören der Polizei, für die auch ich zufällig arbeite, falls du es vergessen hast.«
»Du arbeitest im Einbruchsdezernat.« Saul war nicht in der Stimmung nachzugeben. »Nicht im Dezernat für Gewaltverbrechen.«
»Scheiße, Saul, ich bin es leid, immer wieder darauf herumzureiten!«
»Nicht nur darauf«, erwiderte Saul. Er wünschte sich, er wäre im Bett geblieben und hätte sie tun lassen, was sie glücklich machte.
»Du wusstest, dass ich ehrgeizig bin, als du mich kennen gelernt hast«, fuhr sie gereizt fort. »Du hast gesagt, du magst ehrgeizige, starke Frauen.«
»Ja, ich liebe es, dass du ehrgeizig bist«, sagte Saul. »Ich liebe dich, Teté.«
»Vielleicht.« Der Zorn verebbte bereits wieder.
Saul hörte deutlich das unausgesprochene »Aber«.
»Aber ich bin nicht sicher, ob du wirklich damit zurechtkommst«, sagte Terri.
»Weil ich es für verrückt halte, dass du die halbe Nacht aufbleibst, um dich mit Dingen abzuplagen, mit denen du nichts zu tun hast?« Er konnte es nicht auf sich beruhen lassen. »Ich will nicht, dass du krank wirst.«
»Was mich krank macht«, entgegnete sie, »ist deine spöttische Sicht darauf, wie ich versuche dorthinzukommen, wohin ich will.«
»Darüber würde ich niemals spotten«, protestierte Saul.
»Mag sein«, sagte Terri. »Aber du verstehst es auch nicht, und wenn du nicht darüber hinwegkommst, haben wir ein ernstes Problem.«
»Ja, vielleicht«, erwiderte Saul.
Das Gefühl in seinem Magen wurde zu einem echten Schmerz.
27.
25. August
Da Gregorys Leiche noch nicht freigegeben war, hatte es noch keine Beerdigung gegeben und somit auch keine konventionelle Shiva, an der die Verwandten und Freunde der Familie Hoffman hätten teilnehmen können. Doch fürsorgliche Menschen um sich herum zu haben schien im Augenblick das Einzige zu sein, das Annie und Jay davon abhielt, in ihrem Leid zu ertrinken. Also hatten Michael und Lynne Hoffman, Jays Bruder und Schwägerin aus New York, einen Tisch voll Drinks und Snacks für den steten Strom entsetzter Besucher aufgebaut, obwohl die meisten nach jüdischer Tradition selbst etwas zu essen mitbrachten.
Annie und Jay aßen jedoch so gut wie nichts mehr.
Die Leute versuchten, sie mit freundlichen, gut gemeinten, aber dummen Worten zu verführen.
»Gregory hätte nicht gewollt, dass ihr euch zu Tode hungert.«
»Ihr werdet euch schon besser fühlen, wenn ihr was im Magen habt.«
»Ihr müsst stark bleiben – um Janies willen.«
Dem letzten Argument konnten Annie und Jay sogar einen Sinn entnehmen, obwohl Annie bereits zu dem Schluss gekommen war, dass ihr Sohn niemals Drogen genommen hätte und glücklich wäre, hätte sie als Mutter nicht versagt.
Trotzdem bedeutete ihnen Janie nun alles, und sich selbst zu zerstören wäre grausam dem Kind gegenüber gewesen. Und da die Leute ihnen immer wieder Essen unter die Nase hielten, knabberten sie an Crackern, tranken endlos Kaffee und Tee und zwangen sich, ein paar Löffel Suppe zu essen, um die nervenden Gäste zufrieden zu stellen. Jay schenkte sich überdies ein paar J&Bs zu viel ein, und Annie versteckte sich in der Küche und trank gewässerten Weißwein, während Michael und Lynne ihnen auf Schritt und Tritt folgten, vor allem,wenn sie das kleine Mädchen in den Arm nahmen, aus Angst, sie könnten
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