Leuchtende Sonne weites Land - Roman
Sollten die Leute doch von ihr denken, was sie wollten. »Können Sie mir sagen, warum ich an Bord bleiben und mit ihm und diesem Flittchen bis nach Melbourne weiterfahren sollte?«
Dem Beamten war sichtlich unbehaglich zumute. Er räusperte sich. In all den Jahren hatte er schon die verrücktesten Sachen in seinem Beruf erlebt, aber das war eine Premiere.
»Nun? Ich höre«, sagte Jacqueline bissig.
»Mrs. Walters, ich kann Ihnen die Einreise nur genehmigen, wenn ich sicher sein kann, dass Sie über die nötigen Mittel verfügen, um Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und nicht auf der Straße landen werden.«
Was es ihn kümmerte, hätte sie am liebsten erwidert, ihrem Mann war es schließlich auch egal, was aus ihr wurde. »Ich … ich kann mir einen Job suchen«, antwortete sie. »Ich bin sehr wohl in der Lage, für mich zu sorgen.«
Die Leute ringsumher belauschten die Unterhaltung mit morbider Faszination. Einige jedoch, hauptsächlich Frauen, hatten unwillkürlich Mitleid mit Jacqueline.
Der Beamte sah sie ernst an. »Haben Sie Freunde oder Angehörige hier in South Australia, bei denen Sie wohnen können, Mrs. Walters?«
»Ich werde schon eine Unterkunft finden.« Jacqueline reckte ihr Kinn. »Ich gehe doch davon aus, dass es in diesem Land Hotels gibt.«
»Sicher gibt es hier Hotels, aber auf lange Sicht ist das eine kostspielige Lösung«, gab der Beamte zu bedenken. Er wollte nicht herzlos erscheinen, er dachte nur praktisch.
»Ich kann mir ein Zimmer in einer Pension nehmen oder beim Christlichen Verein Junger Frauen unterkommen.«
»Dort werden leider nur Frauen unter dreißig aufgenommen«, wandte der Beamte ein. »Und Sie sind …«
»Ich weiß, wie alt ich bin, danke«, fauchte sie. Die Wut trieb ihr Tränen in die Augen. Sie drehte sich Hilfe suchend zu den Frauen in der Schlange hinter ihr um. »Typisch Mann, nicht? Als ob es ein Verbrechen wäre, über dreißig zu sein!«
Die blonde Frau unmittelbar hinter ihr nickte zustimmend. Dann wandte sie sich an den Beamten. »Mrs. Walters kann bei uns im Britannia Hotel in Port Adelaide wohnen.« Jacqueline tat ihr leid, und sie fühlte sich genötigt, ihr zu helfen.
Jacqueline drehte sich um und betrachtete die Frau genauer. Sie war Mitte bis Ende dreißig, hatte kurze, lockige Haare und lebhafte blaue Augen. Sie lächelte Jacqueline mitfühlend an. Das »uns« bezog sich offenbar auf sie und die Frau neben ihr.
»Ich heiße Vera Westward«, stellte sie sich vor. An den Beamten gewandt, fügte sie hinzu: »Ich werde mich persönlich um Mrs. Walters kümmern. Ich kenne jemanden von einer Arbeitsvermittlung, der ihr sicherlich eine Stelle besorgen kann.«
Jacqueline kam sich wie eine Fürsorgeempfängerin vor, aber die Hauptsache war, dass sie das Abfertigungsgebäude so schnell wie möglich verlassen konnte. »Sehen Sie? Das ist also überhaupt kein Problem«, sagte sie mit gespielter Selbstsicherheit zu dem Beamten. Ihr Blick fiel auf ihren Trau- und ihren Verlobungsring, als sie auf ihre Einreisepapiere schaute. Die beiden Ringe hatten ein Vermögen gekostet. Sie streckte dem Beamten ihre Hand hin, damit er den Schmuck begutachten konnte. »Im Notfall kann ich immer noch meine Ringe verkaufen. Ich habe sowieso keine Verwendung mehr dafür«, fügte sie frostig hinzu.
»Na schön.«
Der Beamte griff zum Stempel. Da ihm eine solche Situation noch nie untergekommen war, gab es keinen Fall, an dem er sich hätte orientieren können. Er stempelte Jacquelines Pass und reichte ihn ihr. Sie nahm ihn wortlos entgegen, nickte der Frau hinter ihr, die ihr zu Hilfe gekommen war, kurz zu und eilte aus dem Gebäude.
Als Jacqueline aus dem Abfertigungsgebäude trat, konnte sie noch das Heck der Liberty Star sehen, die Kurs auf Melbourne nahm. Die Passagiere an Deck waren kleine, nicht voneinander zu unterscheidende Figuren. Sie fragte sich, ob Henry sich unter ihnen befand, ob er nach ihr Ausschau hielt und seinen Entschluss vielleicht schon bereute. Oder hielt er seine neue Liebe im Arm und war erleichtert, weil er seine Frau schneller losgeworden war, als er befürchtet hatte?
Inzwischen war es Mittag, die Sonne schien, und es war furchtbar heiß. Einige Reisende wurden von aufgeregten Freunden und Verwandten in Empfang genommen. Es tat weh, ihre Wiedersehensfreude mit anzusehen, und so wandte sich Jacqueline ab und schloss sich einer Gruppe von Passagieren an, die um das Gebäude herum und zur Straße gingen. Während die anderen in
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