Leuchtende Sonne weites Land - Roman
legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern. »Ich würde Ihnen ja ein Paar von mir borgen, aber meine sind Ihnen zu klein.«
»Und meine zu groß«, stellte Tess fest, als sie ihren Fuß neben den von Jacqueline stellte. »Außerdem sind meine Absätze auch alle zerschrammt.«
»Sie können sich doch in Port Adelaide ein billiges Paar kaufen«, schlug Vera vor.
Das erinnerte Jacqueline daran, dass sie sich so schnell wie möglich eine Arbeit suchen musste. »Dieser Mann von der Arbeitsvermittlung, von dem Sie gesprochen haben, hat der Ihnen schon eine feste Stelle beschafft?«
»Na ja, nicht direkt«, druckste Vera. »Er hat uns sozusagen angeworben.«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Wir haben uns auf ein Inserat gemeldet, in dem Frauen gesucht wurden, die in Australien die Bekanntschaft von einsamen, heiratswilligen Farmern machen wollen«, erklärte Tess.
Jacqueline starrte sie entgeistert an. »Was?«
Auch das junge Paar auf der Bank nebenan wechselte einen verdutzten Blick.
»Ja. Eine Agentur in Port Adelaide hat das Inserat in mehreren amerikanischen Zeitungen geschaltet«, ergänzte Vera. »Wir werden in die Flinders Ranges weiterfahren, wo wir unsere zukünftigen Ehemänner kennen lernen.«
»Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe«, sagte Jacqueline spontan. Als ihr bewusst wurde, dass die beiden Frauen, die so nett zu ihr waren, das vielleicht als Beleidigung auffassten, fügte sie hastig hinzu: »Entschuldigung, das war nicht besonders höflich von mir. Aber so etwas habe ich wirklich noch nie gehört.«
»Kein Problem«, meinte Vera. »Ich kann mir vorstellen, dass sich das komisch anhört.«
»Komisch ist nicht das richtige Wort«, entgegnete Jacqueline, die an Henry dachte. Sie war so tief verletzt, dass sie ihre Gefühle nicht verbergen konnte. »Man kann den Männern nicht trauen, das hat mir mein lieber Mann gerade bewiesen. Und dabei habe ich geglaubt, dass ich ihn kenne! Ich hielt ihn für einen der treuesten, integersten Menschen, die mir je begegnet sind. Deshalb verstehe ich nicht, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, einen völlig Unbekannten zu heiraten. Das ist doch Wahnsinn!«
»Wir machen uns keine Illusionen«, erwiderte Vera ruhig. »Wir hoffen nicht auf die große Liebe.«
»Wir hatten beide nicht viel Glück mit den Männern«, ergänzte Tess. »Ich war zweimal verlobt, und Vera war einmal verlobt und einmal verheiratet.«
Vera machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist eine Ewigkeit her, und die Ehe hat nicht lange gehalten.« Sie wusste selbst, dass diese Heirat ein Fehler gewesen war.
»Und ihr habt trotz allem die Nase nicht voll von den Männern?« Jacqueline war es unbegreiflich, wie man nach solch negativen Erfahrungen noch ans Heiraten denken konnte.
»Nein, wieso denn?« Tess zuckte mit den Schultern. »Wir sind unzählige Male belogen und betrogen und verlassen worden. An den Märchenprinzen glauben wir nicht mehr, aber wer weiß, vielleicht gibt es hier ja ein paar anständige Männer. Wir betrachten das Ganze im Grunde als ein Abenteuer. Klappt es, wunderbar, und wenn nicht, fahren wir eben wieder nach Hause.«
Jacqueline wusste nicht so recht, was sie von dieser gleichgültigen Einstellung der Ehe gegenüber halten sollte, aber sie bewunderte die beiden Frauen unwillkürlich für ihre stoische Haltung, mit der sie so viel Liebeskummer überstanden hatten.
»Ich finde, ihr seid sehr tapfer. Aber was mich betrifft, so werde ich garantiert nie wieder heiraten«, fügte sie bitter hinzu.
»Man soll nie nie sagen!« Tess zwinkerte Jacqueline zu.
»In diesem Fall schon«, beharrte diese. Sie schwieg einen Augenblick nachdenklich. »Mir bleibt nichts anderes übrig, als nach vorn zu schauen und ein neues Leben zu beginnen. Ich werde nie wieder Henrys Namen erwähnen! Ich will nicht einmal mehr an ihn denken.«
Vera nickte. »Ja, das ist verständlich.«
Aber es war auch unrealistisch, das wusste sie aus eigener Erfahrung. Jacqueline würde ihren Kummer verarbeiten müssen, ob es ihr gefiel oder nicht.
Jacqueline sah erst Tess, dann Vera an. »Versprecht ihr mir, nie wieder seinen Namen zu erwähnen?«
»Wir versprechen es«, antwortete Vera, und Tess nickte bekräftigend.
»Ich möchte nicht, dass irgendjemand erfährt, dass ich verheiratet war. Behaltet das für euch, in Ordnung?«
Vera nickte. »Es ist das Beste, wenn man einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zieht. Werden Sie jetzt Ihren Mädchennamen wieder
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