Leuchtende Sonne weites Land - Roman
Bei einigen Ihrer Nachbarn sind die Fenster eingeworfen worden. Die Lage wird von Stunde zu Stunde brenzliger. Berichten die Zeitungen erst einmal darüber, dass auf eine Anklage gegen Ihre Frau verzichtet wird, könnten Sie und Ihre Familie ernsthaft in Gefahr sein.«
Lionel nickte. Ihm war der Ernst der Situation völlig klar. »Sie haben Recht. Ich werde Ihren Rat befolgen.«
»Gibt es einen Hinterausgang?«
»Ja. Von der Garage gelangt man auf eine kleine Straße hinter dem Haus.«
»Gut. Dann sehen Sie zu, dass Sie so schnell wie möglich von hier wegkommen«, riet der Sergeant.
Margaret kam vom Kinderzimmer zurück. Im gleichen Moment war draußen ein dumpfes Scheppern zu hören. Der Sergeant lugte aus dem Fenster. Auf dem Fußweg vom Bürgersteig zur Haustür lag eine Statue, die von ihrem Sockel im Vorgarten gestoßen und zerbrochen war. Einige Polizisten versuchten, die aufgebrachte Menge zurückzudrängen.
»Ich muss zu meinen Leuten«, sagte der Sergeant. Er nickte Lionel mit einer knappen Kopfbewegung zu. »Viel Glück, Sir. Ma’am.«
Lionel ließ ihn hinaus und sperrte die Tür sofort wieder zu.
»Wir sind in großer Gefahr, nicht wahr?«, wisperte Margaret, der die düstere Miene des Polizeibeamten und sein unheilvoller Tonfall nicht entgangen waren.
»Pack schnell ein paar Sachen zusammen, Maggie«, sagte Lionel. »Der Sergeant hat Recht. Wir können nicht hierbleiben.«
»Was wird aus dem Haus?« Sollten sie alles, was sie besaßen, alles, woran sie hingen, einfach zurücklassen?
»Das Haus ist nicht so wichtig. Das Leben unserer Kinder steht auf dem Spiel.«
Lionel bemühte sich, einen kühlen Kopf zu bewahren, aber innerlich schäumte er. Es erboste ihn, dass die Polizei nicht imstande war, seine Familie und sein Zuhause zu schützen.
»Ich lass schon mal den Motor warmlaufen.« Er wollte es nicht riskieren, dass der Wagen nicht ansprang und sie einem wütenden Pöbel ausgesetzt waren.
Lionel warf sich seinen Mantel über und eilte durch die Hintertür zur Garage. Margaret kehrte ins Kinderzimmer zurück, wosie Jacqueline und Mitchell, die beide schon bettfertig waren, befahl, sich wieder anzuziehen.
»Aber warum denn, Mom? Gehen wir fort? Wohin gehen wir?«, fragte das Mädchen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Margaret kopfschüttelnd. »Frag nicht so viel, beeilt euch lieber!«
Ein lautes Poltern ließ sie zusammenzucken. Sie spähte ängstlich aus dem Fenster und sah, dass etwas auf die vordere Veranda geschleudert worden war. Sie dachte an ihren Garten, den sie so liebevoll gepflegt hatte, an die Steinfiguren und die Blumen in den bunten Übertöpfen, die ihn im Sommer schmückten. Sie glaubte nicht, dass irgendetwas davon übrig bleiben würde. Ihr war nach Weinen zumute, aber sie riss sich um ihrer Kinder willen zusammen.
»Bleibt von den Fenstern weg, hört ihr?« Margarets Stimme zitterte.
Hastig raffte sie ein paar Kleidungsstücke aus den Schubladen der Kommode zusammen und warf alles in eine Tasche. Dann lief sie in ihr Schlafzimmer, um ein paar Sachen von sich und Lionel einzupacken. Als sie ein Schubfach aufzog, fiel ihr Blick auf ihre Fotoalben. Sie nahm zwei heraus, die Fotos der Kinder enthielten, und legte sie in den Koffer. Kleidung konnte man ersetzen, die Fotos nicht. Nach kurzer Überlegung warf sie auch ihr Tagebuch hinein. Sie hoffte, Lionel würde sie verstehen.
Als er wenige Minuten später wieder hereinkam, hatte sie eine Tasche und einen Koffer gepackt. Die Kinder waren dick eingemummelt. Es war bitterkalt, so kalt wie lange nicht mehr, und es schneite seit einigen Stunden ununterbrochen. Lionel nahm die Tasche in die eine Hand, den Koffer in die andere.
»Seid ihr so weit?«
Margaret nickte und sah ihre beiden Kinder besorgt an. Mitchell hielt seine hölzerne Spielzeuglok an sich gepresst. Er hatte die Eisenbahn zu seinem achten Geburtstag wenige Wochen zuvor geschenkt bekommen.
»Möchtest du nicht eine von deinen Puppen mitnehmen, Jacqueline?« Ihre Tochter spielte schon seit langem nicht mehr mit ihren Puppen, aber Margaret dachte, dass sie vielleicht ein Andenken an ihre Kindheit mitnehmen wolle. Immerhin war es möglich, dass sie ihr Zuhause bei ihrer Rückkehr nicht mehr vorfinden würden.
»Nein«, erwiderte das Mädchen ernst. »Ich bin zu alt zum Puppenspielen, Mom.«
Diese Worte brachen Margaret schier das Herz. Ihre Tochter musste viel zu schnell erwachsen werden, dabei war sie mit ihren dreizehn Jahren doch noch ein Kind, das auf
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