Leuchtfeuer Der Liebe
war, er würde es früh genug herausfinden.
Im gestreckten Galopp jagte er in nördliche Richtung, wo die Dünen sanft zum Strand abfielen. Dort lenkte er den Wallach mit kurz gehaltenen Zügeln in die Brandung.
Dieses Manöver hatte er seinen Pferden in jahrelanger geduldiger Arbeit beigebracht, und D'Artagnan gehorchte ihm wie immer mühelos.
Der Sog der Brandung zerrte an Jesse, der, weit vorgebeugt an den Hals des Pferdes geschmiegt, die Zügel in den Fäusten hielt. Die Hufe des kraftvollen Wallachs kämpften sich durch die tosende Brandung.
Der Kampf hatte begonnen.
Für Jesse bedeutete dieser Kampf den Inhalt seines Lebens, das Einzige, was ihm das Gefühl gab, lebendig zu sein. Wilde Kraft durchströmte ihn. Der Kampf gegen die See hatte seinen eigenen Rhythmus, die Gewalt der Brandung zog Mann und Reiter in die Tiefe, während der mächtige Wallach sich mit jedem Hufschlag wieder nach oben und nach vorne stieß.
Jesse würde sich nie wieder auf das Meer hinauswagen, er konnte das Grauen, das sein Leben zerstört hatte, niemals überwinden.
Aber in der Brandung, wo Land und Wasser miteinander kämpften, war er in seinem Element. Das Pferd näherte sich halb schwimmend, sich immer wieder vom sandigen Grund abstoßend, dem kleinen Boot, das hilflos wie eine Nussschale hin und her geschleudert wurde.
Das Beiboot eines großen Schiffes. Durch den peitschenden Regen erkannte Jesse den bauchigen Rumpf. Ein Wellenberg, hoch wie ein Haus, blockierte den Weg zu dem winzigen Boot. Jesses Schenkel umklammerten die Flanken des Pferdes wie eine Eisenzange, als D'Artagnan stieg. Riesige Wassermassen brachen donnernd über Ross und Reiter zusammen in einer nicht enden wollenden tosenden Kaskade.
Die Zeit schien stillzustehen. Silbrige Luftblasen stiegen vor Jesses offenen Augen auf. Nein, keine Luftblasen. Sterne. Er sah Sterne. Seine Lungenflügel drohten zu bersten. Es dauerte nicht mehr lange, dann war alles vorbei.
Und plötzlich schössen Pferd und Reiter in einem Wellental senkrecht aus dem Wasser. Nur ein paar Armlängen entfernt schaukelte das hilflose Boot.
Am Bug konnte Jesse abblätternde kyrillische Buchstaben erkennen. Russische Matrosen hatten irgendwo ihr sinkendes Schiff verlassen.
Zwei Männer kämpften vergeblich mit Rudern gegen die brodelnde See. Ein Matrose im Bug erspähte Jesse und stieß einen grässlichen Angstschrei aus. Jesses Lippen entblößten gefletschte Zähne in einer teuflischen Grimasse. Die Schiffbrüchigen hielten ihn zweifellos für einen apokalyptischen Reiter, der gekommen war, um sie in den Höllenschlund zu reißen.
Ein anderer warf mit einer ausholenden Armbewegung eine Leine in Jesses Richtung. Gottlob, der Kerl hatte mehr Verstand als sein Kamerad und hielt es für vernünftiger, dem Teufel eine Leine zuzuwerfen, als auf Gott zu vertrauen.
Von Kopf bis Fuß in Ölzeug gewickelt, stand Mary mit Palina am Strand und beobachtete das Drama, das sich draußen in der Brandung abspielte.
Von der Nebelglocke geweckt, war sie ans Fenster getreten, hatte gesehen, wie Erik und Magnus im gestreckten Galopp zum Strand geritten waren, und war gleichfalls losgerannt. An der Unglücksstelle angekommen, hatte sie gerade noch beobachten können, wie Jesse und sein Pferd unter einem haushohen Brecher begraben wurden und eine Ewigkeit nicht auftauchten. Und als sie bereits alle Hoffnung aufgegeben hatte, waren Pferd und Reiter aus den bleigrauen Wassermassen hochgeschossen, als hätte der Schlund des Meeres sie ausgespuckt.
Jesse hatte dem Pferd die Leine, die ihm der Matrose zugeworfen hatte, um den Hals gebunden, hielt sich mit beiden Händen daran fest, und D'Artagnan pflügte sich nun durch die Brandungswellen an Land. Der Sturm wehte so heftig, dass Mary und Palina sich umklammert hielten, um nicht zu Boden gerissen zu werden.
Magnus und Erik ritten Jesse entgegen, als der Kiel des Bootes sich knirschend in den Sand bohrte. Die sechs Seeleute schrien unverständliche Worte, klammerten sich an Männern,
Pferden und Leinen fest, was immer sie greifen konnten, und ließen sich erschöpft an Land ziehen.
„Kommen Sie, wir müssen uns um die Verletzten kümmern", sagte Palina und nahm Mary bei der Hand.
Mary lief ins seichte Wasser und streckte die Arme nach einem Schiffbrüchigen aus, der ihr entgegentaumelte. Zufällig fiel ihr Blick auf Jesse, und sie erschrak.
Statt in seinen Zügen die grimmige Entschlossenheit eines Mannes zu sehen, der todesmutig gegen die
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