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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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Beton in meinem Kopf bohrt: »Elisabeth, was ist? Kommst du nun? Oder brauchst du eine Extraeinladung?«
    Ich weiß, es ist zu spät. Ich öffne meine trockenen Lippen, will ihn auf gleich vertrösten. Doch es kommt kein Laut aus meinem Mund. Vor meinen Augen verschwimmt der Klassenraum mit meinen Klassenkameraden, die in ihren bunten T-Shirts alle zu mir sehen und darauf warten, dass ich endlich aufstehe und zur Tafel gehe. Doch ich komme nicht hoch. Meine Hände werden schwer und grau. Ich bin voll mit Beton. Und dann kippe ich in der ersten Schulstunde von meinem Stuhl. Im weiten, endlosen Kosmos treffe ich auf Arthur. In seinem geringelten T-Shirt steht er vor mir und sagt: »Ich dachte, ich könnte dir vertrauen.« Ich sage: »Aber das kannst du doch auch.« Arthur schüttelt den Kopf, dreht sich um und geht. Ich rufe ihm nach, doch er verschwindet im dichten Nebel. Ich schreie und brülle. Ich will ihm nachlaufen, doch meine Beine wollen nicht. Ich fühle mich so schrecklich allein, es tut weh. Ich weine und um mich herum erstreckt sich der weite lichte Raum.
    Als ich im trauten Kreise meiner Klassenkameraden, auf dem Boden liegend, die Augen aufschlage, kommt es mir vor, als sei ich von den Toten auferstanden. Meine Leute haben sich um mich herum aufgebaut, einige knien, andere stehen und starren auf mich hinunter. Ich fühle, dass meine Gesichtszüge total verspannt sind, aus meinem Augenwinkel kullert eine Träne.
    Alina hockt neben mir und hält mir die Hand: »Alles okay, Lelle?«
    Ich nicke und versuche, mich so schnell wie möglich vom Boden aufzurappeln. Meine Güte, meine Klassenkameraden und ich haben eben einen echt intimen Moment geteilt, das kann man sagen. Den werden wir unseren Lebtag nicht vergessen.
    Herr Herzberger kniet zu meinen Füßen, die er auf seinen Oberschenkeln abgelegt hat, damit das Blut zurück in meinen Kopf fließt. Er bemerkt scharfsinnig: »Alina, ich denke, du solltest Elisabeth wieder auf die Krankenstation begleiten.«
    »Mache ich.«
    Die gute Alina hat schon alle notwendigen Handgriffe drauf. Zuerst nimmt sie meine Jacke. Dann stützt sie mich, sodass ich wieder vom Boden aufstehen kann, und geleitet mich aus der Klasse. Dabei vergisst sie nicht, mir zu melden, dass sie meine Schulsachen für mich zusammenpacken wird, sobald sie zurück im Klassenzimmer ist.
    Ich flüstere: »Danke, Alina. Vielen Dank.«
    Meine Klassenkameraden rufen im Chor: »Gute Besserung, Lelle.«
    Ich hebe müde die Hand, und Alina flüstert: »Spackos!«
    Dann knallt sie die Tür hinter uns zu und draußen im Flur geht es mir gleich viel besser.
     
    Bevor wir in die Krankenstation schlurfen, machen wir noch einen Abstecher ins Sekretariat und geben der Sekretärin Bescheid, dass ich mich wieder auf die Pritsche legen muss. Die braun geschminkte Sekretärin mit den türkisgrünen Augendeckeln nickt, ohne aufzusehen, und tippt weiter in ihre Computertastatur.
    »Ihr wisst ja, wo ihr eine Extradecke findet.«
    Ich hebe erneut die Hand zum Zeichen, dass sie sich nicht bemühen soll. Und Alina raunt: »Ich will nicht wissen, mit wem die da den ganzen Tag chattet. Wahrscheinlich mit irgendwelchen notgeilen Bumsköpfen.«
    Wir hinken den schmalen Gang in Richtung Lehrerzimmer hinunter, wo die Luft zum Schneiden dick ist. Ich weiß auch nicht, woran das liegt. Ob Lehrer mehr Sauerstoff zum Leben brauchen als andere Leute? An den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotos von sämtlichen siebten Klassen, die in den letzten zwanzig Jahren hier zur Schule gegangen sind. Unsere Klasse hängt noch relativ weit vorne. Das Bild wurde ja auch erst im vorletzten Jahr aufgenommen. Darauf stehe ich neben Alina in der ersten Reihe und bin mindestens doppelt bis dreimal so dick wie jetzt. Da war ich noch ein anderer Mensch. Einer, der ständig und viel gegessen hat. Alina stützt mich, so als wäre sie meine Seniorenbetreuerin, und öffnet die Krankenzimmertür. Der winzige Raum hat nicht einmal Fenster. Nur für die Liege ist Platz und für die graue Extradecke, die auf dem Hocker daneben liegt.
    Alina knipst das Licht an und ich strecke mich auf der Liegefläche aus. Anschließend deckt mich Alina zu und meint: »Wenn du wieder fit bist, musst du mir einen Gefallen tun.«
    »Was denn?«
    »Mich heute Abend begleiten.«
    »Wohin?«
    »Zu Pias Haus.«
    »Und was willst du da?«
    »In ihr Zimmer einsteigen.«
    »Was willst du?«
    »In ihr Zimmer einsteigen.«
    »Warum das denn?«
    Alina streicht seelenruhig die Decke über

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