Leute, mein Herz glueht
Terrassentür kommt und sich die gelben Gummistiefel von den Füßen zieht. Oben, im ersten Stock, höre ich die Klospülung rauschen. Das ist Cotsch. Wenn sie zu Hause ist, verbringt sie die meiste Zeit im Bad, um ihren Körper zu peelen. Das ist echt ihr Hobby: Kosmetik und ihre Hautporen. Wenn sie aus dem Bad kommt, sieht sie immer ganz geschält aus. Das komplette Gesicht ist mit roten Flecken überzogen, dass man denken könnte, sie hat eine schlimme, hochansteckende Hautgeschichte.
Mama hängt derweil bei der dicken Rita rum und schlürft mit ihr Baileys. Um sich vom Stress zu befreien, der auf ihren Schultern lastet. Gerade würde ich gerne mal ein paar Takte mit Mama reden, um überhaupt zu erfahren, um welche Uhrzeit, verdammt noch mal, Arthur zu uns zu kommen plant! Es ist echt verstörend, dass Mama mir die Information nicht eher gesteckt hat.
Ich schleppe mich in mein Zimmer, klatsche hinter mir die Tür zu und lasse mich aufs Bett fallen. Da bleibe ich auf dem Rücken liegen, starre an die Zimmerdecke und atme tief durch, wie beim autogenen Training. Wie das funktioniert, habe ich in der Klinik gelernt. Man stellt sich eine Welle vor, die einen sanft wiegend auf ihrem Rücken Richtung Horizont trägt. Auf diese Weise soll man sich innerlich geborgen fühlen. Klappt bei mir leider gar nicht. In meinem Kopf schreit alles durcheinander und aus meinen Augenwinkeln rollen plötzlich dicke Tränen. Ich vermisse Johannes. Ich sehe ihn vor mir, wie er traurig auf sein klappriges Fahrrad steigt und durch den strömenden Regen davonfährt. Ich sehe seine grünen Augen, sein fröhliches Lächeln, höre seine weiche Stimme, fühle seine schönen Hände, wie sie sanft über meine Schultern streichen. Wie gerne würde ich jetzt mit ihm in dieser milden, abendlichen Stimmung und dem Regen da draußen in seinem Zimmer auf der Matratze sitzen, Musik hören, ohne mir all diese niederschmetternden Gedanken zu machen. Ich würde gerne meinen Kopf auf seine Brust legen, sein Herz schlagen hören und wissen, dass alles gut ist. Er würde ruhig in mein Haar atmen und mir etwas Lustiges erzählen, damit ich mich gut aufgehoben fühle. Er würde mir einen Apfel schälen und ihn mir Stückchen für Stückchen füttern, weil er will, dass ich ein bisschen was esse. Doch genau das geht nun gerade nicht.
Leute! Arthur oder Johannes?
Wie sieht Arthur noch mal aus? Ich versuche, mir sein Gesicht zu vergegenwärtigen. Auf jeden Fall ist er einen Kopf kleiner als Johannes. Seine Haare sind dunkler und etwas länger. Er hat braune Augen und ein zartes, gleichmäßiges Gesicht. Grübchen, wenn er lächelt. Und Arthur lächelt sehr oft. Manchmal sitzt er aber auch nur da und guckt an mir vorbei. Dann denkt er an seine toten Eltern und wie sehr er sie vermisst. Ich fahre mit der Hand über meinen flachen Bauch, ein bisschen unter den Hosenbund, mit den Fingerspitzen ertaste ich meine Mikrobe. Bei unserer ersten Verabredung haben Johannes und ich uns die gegenseitig eingeritzt - als Zeichen unserer Verbundenheit. Wie schnell sie doch wieder verloren geht, die Verbundenheit. Da hilft kein Zeichen, keine Abmachung. Das Herz allein bestimmt die Richtung, in die sich jeder von uns bewegt. Aber worauf kann man sich verlassen, wenn man selbst nicht weiß, wohin das Herz sich wenden wird?
Ich höre, wie Cotsch die Treppe runterkommt und im Flur auf Papa trifft.
Ich höre, wie er fragt: »Was siehst du denn so traurig aus?«
Und Cotsch brüllt gleich los: »Du bist an allem schuld!«
Dann höre ich, wie sie ihre Zimmertür zuknallt. Jetzt ist es ganz still. Ich überlege, ob ich raus in den Flur laufen und meinem armen Papa ein gutes Gefühl geben soll, von wegen, dass ich nicht finde, dass er an allem schuld ist. Damit er weiß, dass ich voll auf seiner Seite bin. Aber da geht schon wieder der Schlüssel in der Haustür und Mama kommt rein. Ich höre, wie sie ihren Schlüsselbund ins Schlüsselkörbchen wirft, den Mantel aufhängt und die Windfangtür schließt.
Jetzt fragt sie in den Flur hinein: »Was ist denn los?«
Und Papa stöhnt mit so einer ganz müden Stimme: »Sag du es mir!«
Mama öffnet drüben die Zimmertür von meiner Schwester. Und sofort kreischt Cotsch los: »Kannst du nicht mal anklopfen, bevor du reinkommst?«
»Entschuldige.«
»Hau ab!«
»Was ist denn los?«
»Nichts! Hau einfach nur ab!«
Im nächsten Moment geht bei mir die Zimmertür auf, ebenfalls ohne dass jemand angeklopft hätte. Mama steckt ihren Kopf
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