Leute, mein Herz glueht
aus den Sommerferien kamen und Papa mir genau diese Jacke übergelegt hat, wenn ich im Auto eingeschlafen war. Und immer hat die Jacke genauso gerochen wie jetzt. Ein guter, heimeliger Geruch. Sofort wird mir wärmer und ich sehe vorne aus der Windschutzscheibe auf die leere Fahrbahn, unter den Reifen rauscht der graue Asphalt und Papa dreht das Radio an. Beim Autofahren hört er am liebsten experimentelle Klavierklänge, durchmischt mit wildem Getrommel. Keine Ahnung, was er an solchen Psycho-Stücken findet. Die sind einfach nur total nervig. Besonders wenn man selbst schon neben der Spur ist. Aber ich sage nichts. Ich halte es aus, denn immerhin ist Papa extra früh ausgestanden, um mich zum Flughafen zu bringen und unseren Entwicklungshelfer abzuholen. Normalerweise muss Mama bei solchen Gelegenheiten hinters Steuer, weil Papa meint, dass er nicht der Familienchauffeur ist. Na ja. Aber er mag mich und darum hat er jetzt die Fuhre übernommen.
Es ist kurz vor halb sieben, als wir auf den unterirdischen Parkplatz rollen. Über uns surren die Neonröhren, und Papa und ich rennen los, ins Flughafengebäude rein, hin zum Gate. Ich hechte voraus, Papa hinterher, und als wir ankommen, schlurfen schon die ersten Flugpassagiere mit ihren Koffern durch die gläserne Schiebetür und gucken trübe umher, um zu überprüfen, ob sie ihre Angehörigen irgendwo erblicken. Um uns herum fallen sich die Leute in die Arme, drücken und küssen sich und sagen: »Mein Gott! Habe ich dich vermisst!« Die Menschen sind echt komisch.
Ich stehe neben meinem Vater an dem geschlossenen Informationsschalter und wir sind ganz stumm, so sehr konzentrieren wir uns auf die Glastür und das Geschehen dahinter. Ab und an erspähen wir hinter dem Passkontrollenhäuschen einen Flugreisenden, der seinen Koffer vom Rollband zieht, aber nirgendwo ist Arthur. Und plötzlich habe ich ihn wieder ganz genau vor Augen. Meinen Arthur. Sein Lächeln. Seine braunen, leuchtenden Augen. Seine Stimme. Ich versuche, ruhig zu atmen. Aber in mir bebt es.
Papa stellt sich auf die Zehenspitzen, um besser zu sehen, in seiner Hand hängt der Autoschlüssel mit dem dazugehörigen kleinen Ledertäschchen. Auf seiner Stirn glänzen kleine Schweißperlen.
Er murmelt: »Mensch, wo ist er denn?«
Jetzt stelle ich mich auch auf die Zehenspitzen und mein Herz schlägt bis zum Hals. Immer mehr Flugreisende kommen durch die gläserne Schiebetür und die Abholer um uns herum werden weniger. Bis wir alleine dastehen. Ich denke schon, Arthur erscheint nicht mehr, als die Glastür noch ein letztes Mal aufgeht. Leute! Es ist Arthur! In seinem geringelten T-Shirt, die Haare bis zum Kinn. Er ist ziemlich braun gebrannt.
Papa gibt mir von hinten einen kräftigen Schubs. »Na, los! Geh schon.«
Ich mache einen Schritt nach vorne, werde schneller und noch schneller. Arthur kommt direkt auf mich zu, mit seiner großen Sporttasche um die Schulter und meinem Arthur-Lächeln. Auch er wird immer schneller, grinst immer doller und dann endlich breitet er seine gebräunten Arme aus. Er schlingt sie um mich und küsst mich mitten auf den Mund. Ich küsse zurück und mein Arthur flüstert immer wieder warm und vertraut in mein Ohr: »Meine Lelle, meine Lelle. Endlich, endlich habe ich dich wieder.«
Hand in Hand gehen wir hinter Papa her, der uns an den leeren Terminals und den noch geschlossenen Flughafenshops vorbei zurück zum Auto führt. Immer wieder drückt Arthur glücklich meine Hand, so sehr freut er sich, mich zu sehen. Klar, jeder freut sich, mich zu sehen. Kleiner Scherz am Abgrund. Ich lächle so ein bisschen zurück, um ihm ein gutes Gefühl zu geben. Aber in mir drin, da wird die Schuld immer schwerer. Leute, ich glaube, ich habe wirklich Mist gebaut! In jedem Fall muss ich feststellen: Arthur sieht verdammt gut aus. Seine Hände sind kräftiger geworden. Kein Wunder. Unermüdlich hat er für arme Kinder Hütten und Brunnen gebaut, um ihnen das ärmliche Leben angenehmer zu gestalten. Er hat versucht, ihnen genügend Essen zu beschaffen, während ich - umgeben von Wohlstand - das Essen verweigert habe. Die Welt ist schon verrückt, findet ihr nicht?
In meinem Kopf wird dieses dämliche Rauschen wieder lauter. Ich würde so gerne etwas Lustiges sagen, damit alles so unschuldig ist wie früher. Als es nur uns beide gab. Arthur und mich. Doch diese Unschuld kommt nie mehr wieder. Ich weiß es.
Papa streckt seine Hand plus Autoschlüssel in Richtung Wagen aus und öffnet per
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