Level X
irgendje m and in die Hand gedrückt hatte. W ahrscheinlich hielt ich sie irgendwie ko m i sch, unfähig, m eine B e wegungen richtig zu koordinieren. Ich wollte sie an die Lippen heben, war aber aus irgendeinem Grund nicht dazu in der Lage. Harold nahm m i r die Tasse aus der Hand und setzte sich neben m i ch. Ich g l aube, er hielt m i ch einen Augenblick in den A r m e n , ab e r d a b i n i ch m i r n i cht s i cher. Ich h a tt e j e d es Gefühl für Nähe verloren, spürte nicht ein m al m ehr, wenn m i ch j e m and berührte.
Oder lag es an Harol d ? Block i erte jener Teil von m i r das Gefühl für Harolds B erührung, der noch im m er nicht sicher war, was genau auf den Schock und w a s auf die Erinnerung an m ein seltsa m es Erlebnis zurückzuführen war?
Natürlich kümmerte Harold sich um all e s. Er tel ef onierte sogar m it einer Agentur und besorgte ein Kinder m ädchen für Charlie. Annes Eltern würden zur Beerdigung aus Maine kom m en, aber Anne hatte ihnen nie sehr nahe gestanden, und ich hätte nicht im Tr au m daran gedacht, sie zu bitten, sich um unseren Sohn zu küm m e r n. Meine Eltern wür d en nic h t a u s E ngland kom m en, um an der Beerdigung teilzuneh m en. Mein Vater erholte sich gerade von einer L ungenentzündung, und m eine Mutter wollte ihn nicht gern allein lassen. » J a, das ist sehr u m sichtig von dir, Harold, danke. Ein Kinder m ädchen ist eine gute Idee.«
W i e soll man einem Kind erk l ären, dass sein ganzes Leben, seine ganze W elt sich m it einem Schlag verändert hat? Dass das Schicksal ihm innerhalb weniger Sekunden den Glauben an die Verlässlichkeit der Dinge für i m m er geraubt hat? W i e soll man einem Kind helfen, m it einer Erfahrung fertig zu werden, vor der selbst Erwachsene die Augen verschließen?
Diese und ähnliche Fragen verdrängten für den Augenblick alle anderen G e danken. Das Einzige, was zählte, war Charlie. M e ine ei g ene Verwirrung spieg e lte sich in der seinen und schweißte uns zusammen. Ich überlegte kurz, ob ich ihn be l ügen sollte, sah aber nicht, wie ihm das helfen konnte, sein Gefühl des Verlustes zu m ildern. Und ich war m i r s i cher, dass Anne ihn nicht belogen hätte.
»Du m einst, sie kom m t n i cht wie d er zurüc k ?«
»Nein, Charlie.«
»Nie m ehr?«
»Nicht so wie früher. Aber sie wird auf andere W eise im m er bei uns sein. In unseren H erzen. W enn wir nur genau lauschen, werden wir sie m anch m al hören.«
Er rang seine Hände, rieb die Handflächen aneinander und m usterte sie abwesend, ganz in Gedanken versunken.
» W ird sie uns hören können, wenn wir m it ihr reden ? «
»Ja, Charlie, ich glaube, das wird sie.«
Er sagte gar nichts m ehr und war sehr in sich gekehrt. Ich konnte sehen, dass er Trä n en in den A ugen hatte und nicht wusste, ob er gegen sie ankämpfen oder ihnen freien Lauf lassen sollte. Ich streckte m eine Ar m e nach ihm aus.
» W arum setzt du d i ch n i cht g anz di cht zu m i r, Charlie? Lass uns doch m al versuchen, ob wir sie nicht beide in unseren Herzen hören können!«
Als Charlie in jen e r Na c ht endlich ei ngeschla f en war, ließ ich m i r ein heißes Bad einlaufen, streckte m i ch darin aus und versuchte nachzudenken. Eines stand fest: Ich konnte m it nie m andem über m eine Erlebnisse reden. Nein, diesen Weg konnte ich nicht einschlagen. An seinem Ende laue r t en die Killa n i ns u nd all d i e P riv a t san a torien dies e r W elt.
Ich dac h te an Richard. Was tat er wohl gerade? W ürde ich es je erfahre n ?
Im Bett blätterte ich lustlos ein paar Zeitungen durch. Präsident Lloyd Bentsen hatte nach seiner Rückkehr aus dem Nahen Osten eine Rede gehalten, in der er voller Opti m i s m us in die Zukunft sah. Irgendwo i m Innenteil der Zeitung stieß ich auf ei ne kurze Meldung, dass ein in Vergessenheit geratener Ex-Schauspieler na m ens Ronald Reagan nach einem Sturz in einem Altersh e im in Burbank gestorben w ar.
Ich zappte durch die K anäle und sah Marilyn Monroe, der Lieblingso m a der Nation, und David Letter m an in der »Late Show« zu, wie sie sich ein g eistreiches Rededuell lieferten, während sie sich Ausschnitte aus Marily n s klassischer Co m edy-Serie aus den Siebzigern ansahen. Plötzlich packten m i ch Schuldgefühle, dass m ic h solche Banalitäten am Tag, an dem m eine Frau g est o rben war, a m üsieren konnten, und ich schaltete den Fernseher aus.
Doch für m i ch war dies nicht wirklich der Tag, an dem m eine Frau gestorben
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