Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)
sagte Holden.
»Verschwinden Sie mit Ihrer Crew in Richtung Eros, ehe ich es mir anders überlege.«
Holden stand auf, nickte Fred zu und wandte sich zum Gehen. Naomi begleitete ihn.
»Mann, das war knapp«, raunte sie.
Sobald sie das Büro verlassen hatten, erwiderte Holden: »Ich glaube, Fred war drauf und dran, Miller zu befehlen, mich zu erschießen.«
»Miller steht auf deiner Seite. Hast du das immer noch nicht kapiert?«
46 Miller
Miller war klar, dass er mit Konsequenzen rechnen musste, nachdem er gegen seinen neuen Boss für Holden Partei ergriffen hatte. Seine Position bei Fred und der AAP war ohnehin schon wacklig genug, und der Hinweis, Holden und seine Crew seien nicht nur entschlossener, sondern auch vertrauenswürdiger als Freds eigene Leute, war nicht eben das gewesen, was man einen guten Einstand nannte. Die Tatsache, dass es der Wahrheit entsprach, machte die Sache nur noch schlimmer.
Er rechnete mit einer Retourkutsche. Es wäre naiv gewesen, etwas anderes zu glauben.
»Erhebt euch, Kinder Gottes, wie ein Mann«, sangen die Blockierer. »Seid einig, Brüder, und besiegt das Böse Hand in Hand.«
Miller nahm den Hut ab und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das schüttere Haar. Es würde kein guter Tag werden.
Das Innere der Nauvoo befand sich, von außen nicht zu erkennen, immer noch in einem höchst provisorischen Zustand. Die Erbauer des zwei Kilometer langen Raumschiffs hatten mehr als nur ein riesiges Flugobjekt konstruiert. Die Höhe der Ebenen war großzügig bemessen, Streben aus Legierungen fügten sich organisch in freie Flächen ein, die idyllische Wiesen aufnehmen sollten. Kuppeln erinnerten an die größten Kathedralen der Erde und des Mars, mächtige Träger schwangen sich empor, sorgten für Stabilität bei starkem Schub und priesen den Ruhm Gottes. Bis jetzt waren nur die Metallknochen und das Substrat für die Pflanzen zu erkennen, doch Miller sah bereits, wohin dies führen sollte.
Ein Generationenschiff war ein Zeugnis von übermächtigem Ehrgeiz und unerschütterlichem Glauben. Die Mormonen wussten dies und hatten sich der Aufgabe gestellt. Sie hatten ein Schiff konstruiert, das zugleich ein Gebet, ein Ausdruck der Frömmigkeit und eine Lobpreisung war. Die Nauvoo sollte der gewaltigste Tempel werden, den die Menschheit je errichtet hatte. Sie sollte die Crew sicher durch die unermesslichen Abgründe des interstellaren Raums geleiten und stellte die größte Hoffnung der Menschheit dar, die Sterne zu erreichen.
Oder besser, das wäre sie gewesen, hätte er nicht andere Pläne mit ihr gehabt.
»Sollen wir sie jetzt mit Reizgas eindecken, Pampaw?«, fragte Diogo.
Miller betrachtete die Demonstranten. Es waren schätzungsweise zweihundert, die eingehakt die Gänge und Wartungsschächte absperrten. Lastenaufzüge und Greifkräne standen still, die Schalttafeln waren dunkel, die Batterien kurzgeschlossen.
»Wahrscheinlich sollten wir das machen«, seufzte Miller.
Das Sicherheitsteam – sein Team – zählte knapp drei Dutzend Leute. Die Männer und Frauen bildeten eher wegen der von der AAP herausgegebenen Armbänder als aufgrund ihrer Ausbildung, Erfahrung, Zugehörigkeit oder politischen Einstellung eine Einheit. Hätten die Mormonen beschlossen, Gewalt anzuwenden, dann hätte es ein Blutbad gegeben. Hätten sie Raumanzüge angelegt, dann hätte sich der Protest stundenlang hingezogen. Vielleicht sogar Tage. Nun aber gab Diogo das Zeichen, und drei Minuten später flogen vier kleine Kometen durch die Schwerelosigkeit und versprühten Schwaden von NNLP und THC.
Es war das sanfteste und freundlichste Mittel, das sich überhaupt in ihrem Arsenal befand. Die Blockierer mit schlechten Lungen würden trotzdem Probleme bekommen, aber sie alle würden im Laufe der nächsten halben Stunde völlig entspannt und apathisch herumhängen und sich auf einem Trip befinden. Auf Ceres hatte Miller diese Mischung nie eingesetzt, denn das Zeug wäre aus den Lagern gestohlen und für Partys im Büro verbraucht worden. Er versuchte, sich mit diesem Gedanken zu trösten. Als ob das ein Ausgleich für die Lebensträume der Menschen und die Früchte ihrer Mühen gewesen wäre, die er zerstörte.
Neben ihm lachte Diogo.
Sie brauchten drei Stunden, um das Schiff einmal zu durchkämmen, und noch einmal fünf Stunden, um alle aufzustöbern, die sich in Schächten und in abgesicherten Räumen verschanzt hatten, um erst im letzten Moment wieder aufzutauchen und die Mission zu sabotieren.
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