Lewis, CS - Narnia 6
eingefallen? Gibt es eine Überschwemmung? Oder sind Drachen gelandet?«
Als das Licht bei ihnen anlangte, sahen sie, dass es von einer großen Laterne herrührte. Von der Person, die diese Laterne trug, konnte Jill nur sehr wenig s e hen. Sie schien nur aus Armen und Beinen zu bestehen. Die Eulen erklärten der Person alles, aber Jill war zu müde um zuzuhören. Sie versuchte ein wenig aufzuw a chen, als sie merkte, dass die beiden Eulen sich von ihr verabschiedeten. Aber später erinnerte sie sich nur noch daran, wie sie und Eustachius sich bückten, um durch eine niedrige Tür zu gehen, und wie sie sich dann (Gott sei Dank) auf etwas Weiches und Warmes legten und eine Stimme zu ihnen sagte:
«So. Mehr kann ich euch nicht bieten. Es wird kalt sein und hart. Feucht vermutlich auch. Wahrscheinlich werdet ihr kein Auge zutun; selbst wenn es kein Gewi t ter und keine Überschwemmung gibt und der Wigwam nicht über uns zusammenbricht, wie das schon öfter passiert ist. Ihr müsst das Beste daraus machen …« Aber sie war fest eingeschlafen, bevor die Stimme a b brach.
Als die Kinder spät am nächsten Morgen erwachten, stellten sie fest, dass sie ganz trocken und warm an e i nem dunklen Ort auf Strohbetten lagen. Aus einer dre i eckigen Öffnung fiel Tageslicht herein. »Wo um alles in der Welt sind wir?«, fragte Jill. »Im Wigwam eines Moorwacklers«, sagte Eustachius. »Eines was?«
»Eines Moorwacklers. Frag mich nicht, was das ist. Ich konnte ihn gestern Nacht nicht sehen. Ich stehe auf. Komm, wir machen uns auf den Weg und suchen ihn.«
»Wie schrecklich man sich doch fühlt, wenn man angezogen geschlafen hat«, meinte Jill und setzte sich auf. »Ich dachte gerade, wie schön es doch ist, wenn man sich nicht erst anziehen muss«, sagte Eustachius.
»Und nicht waschen, nehme ich an«, entgegnete Jill zornig. Aber Eustachius war schon aufgestanden, hatte gegähnt, sich geschüttelt und war aus dem Wigwam gekrochen. Jill tat es ihm nach.
Was sie draußen vorfanden, war ganz anders als das, was sie am Tag zuvor von Narnia gesehen hatten. Sie befanden sich auf einer großen Ebene, die von unzähl i gen Wasserläufen in unzählige kleine Inseln zerschni t ten wurde. Die Inseln waren mit grobem Gras bewac h sen und von Schilf und Binsen gesäumt. Da und dort gab es riesige, mit Binsen bewachsene Flä chen, wo sich ständig Wolken von Vögeln erhoben und senkten – E n ten, Schnepfen, Rohrdommeln und Reiher. Viele ve r einzelte Wigwams wie der, in dem sie die Nacht ve r bracht hatten, standen herum, doch sie lagen weit vo n einander, denn Moorwackler sind gerne für sich.
Abgesehen von dem ein paar Kilometer entfernten Waldrand im Süden und im Westen war kein einziger Baum zu sehen. Am Horizont in Richtung Osten ve r lief sich der flache Sumpf in niedrige Sandhügel und an dem salzigen Geruch des Windes, der aus dieser Richtung blies, konnte man ablesen, dass dort das Meer lag. Im Norden sah man niedrige fahle Berge und stellenweise ragten dort Felsen auf. Alles andere war flacher Sumpf. An einem düsteren Abend wäre es ein niederdrückender Ort gewesen. Doch jetzt, unter der Morgensonne besehen, mit einem frischen Wind und einer von Vogelgesang erfüllten Luft, hatte diese Ei n samkeit etwas Frisches und Gesundes an sich. Die Kinder fühlten, wie ihre Energie wuchs.
»Wo ist wohl dieser Dingsbums hin?«, fragte Jill.
»Der Moorwackler«, sagte Eustachius, als wäre er ziemlich stolz, dass er dieses Wort kannte. »Ich nehme an … oh, das muss er sein.« Und dann sahen sie ihn beide. Er saß etwa fünfzig Meter entfernt mit dem Rücken zu ihnen und angelte. Zuerst hatte man ihn nicht gut erkennen können, weil er fast die gleiche Fa r be hatte wie der Sumpf und weil er so ruhig dasaß.
»Ich glaube, wir gehen besser hin und reden mit ihm«, meinte Jill. Eustachius nickte. Sie waren beide ein wenig nervös.
Als sie näher kamen, wandte die Gestalt den Kopf und zeigte ihnen ein langes dünnes, bartloses Gesicht mit eingefallenen Wangen, einem fest geschlossenen Mund und einer scharfen Nase. Der Moorwackler trug einen hohen, wie ein Kirchturm nach oben spitz zula u fenden Hut mit einer riesigen breiten, flachen Krempe. Das lockige Haar, sofern man es Haar nennen konnte, das über seine großen Ohren hing, war grünlichgrau und die Locken waren nicht rund, sondern eher flach, wodurch sie aussahen wie winzige Schilf blätter. Sein Gesicht trug einen feierlichen Ausdruck, es war schlammfarben und man konnte
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