Lewis, CS - Narnia 6
drei einsame Gestalten auf Sandbänken und flachen Steinen einen Weg über den Scribble. Es war ein seic h ter, laut brausender Fluss, und selbst Jill war nur bis zu den Knien hinauf nass, als sie am nördlichen Ufer a n kamen. Etwa fünfzig Meter vor ihnen stieg das Land zu den Ausläufern des Hochmoors an. Überall war es steil und vereinzelt sah man Felsen.
»Ich glaube, dort ist unser Weg!«, rief Eustachius und deutete nach links in Richtung Westen, wo vom Moor her durch eine niedrige Schlucht ein Fluss au s trat. Aber der Moorwackler schüttelte den Kopf.
»Die Riesen leben vorwiegend am Rand dieser Schlucht«, erklärte er. »Man könnte fast sagen, die Schlucht sei für sie eine Straße. Es ist besser, wenn wir geradeaus gehen, auch wenn es ein bisschen steil ist.«
Sie fanden eine Stelle, wo sie hinaufklettern kon n ten, und nach ungefähr zehn Minuten standen sie schnaufend oben. Sie warfen einen sehnsüchtigen Blick auf das unter ihnen liegende Narnia und wandten sich dann nach Norden. Das weite, einsame Moor e r streckte sich nordwärts, so weit sie sehen konnten. Zu ihrer Linken war es steiniger. Jill dachte sich, das mü s se der Rand der Schlucht der Riesen sein, und so schaute sie nicht allzu gern in diese Richtung. Sie machten sich auf den Weg.
Auf dem federnden Boden ließ es sich gut laufen und eine fahle Wintersonne schien auf sie herab. Tiefer im Moor wurde es immer einsamer: Kiebitze waren zu hören und ab und zu ein Falke. Als sie am späten Vo r mittag in einer kleinen Kuhle an einem Bach rasteten und tranken, bekam Jill langsam das Gefühl, Abenteuer könnten ihr doch Spaß machen. Das sagte sie dann auch.
»Wir haben noch keines erlebt«, entgegnete der Moorwackler.
Wenn man nach einer kurzen Rast weitergeht, ist es genauso, wie wenn die Schule nach der Pause wieder anfängt oder wenn man nach dem Umsteigen mit e i nem anderen Zug weiterfährt – es ist hinterher nie mehr so wie vorher. Als sie sich wieder auf den Weg machten, bemerkte Jill, dass der felsige Rand der Schlucht näher gekommen war. Und die Felsen waren nicht mehr so flach wie vorher, sondern sie standen aufrecht. Tatsächlich sahen sie aus wie kleine Felsen türme. Und was für eigenartige Formen sie hatten!
Ich könnte mir vorstellen, dachte Jill, dass all die Geschichten über Riesen von diesen komischen Felsen herstammen. Wenn man hier im Halbdunkel vorbei käme, könnte man diese Felsenhaufen sehr leicht für Riesen halten. Der da zum Beispiel! Man könnte fast meinen, der Klumpen ganz oben sei ein Kopf. Er wäre zwar ziemlich groß für den Körper, aber bei einem sehr hässlichen Riesen wäre das schon denkbar. Und das ganze buschige Zeug – ich nehme an, es sind in Wirk lichkeit Heidekrautbüschel und Vögelnester – könnte ohne weiteres das Haar und der Bart sein. Und die Dinger, die an den Seiten abstehen, sehen genauso aus wie Ohren. Es wären zwar furchtbar große Ohren, aber vermutlich haben die Riesen große Ohren, genauso wie Elefanten und – oooh …!
Jill gerann das Blut in den Adern. Das Ding bewegte sich. Es war ein echter Riese. Da war kein Zweifel möglich, sie hatte ihn den Kopf drehen sehen. Sie hatte einen Blick auf das große dumme, pausbäckige Gesicht erhascht. Alle diese Dinger waren Riesen und keine Felsen. Es waren vierzig oder fünfzig, alle in einer Reihe. Offensichtlich standen sie mit den Füßen auf dem Grund der Schlucht und hatten die Ellbogen oben auf dem Rand aufgestützt.
»Geht geradeaus weiter«, flüsterte Trauerpfützler, der die Riesen ebenfalls entdeckt hatte. »Schaut sie nicht an. Und vor allem – rennt nicht! Sonst sind sie im nächsten Moment alle hinter uns her!«
Also gingen sie weiter und taten so, als hätten sie die Riesen gar nicht bemerkt. Es war, wie wenn man am Tor eines Hauses vorbeigeht, wo es einen bissigen Hund gibt, nur noch viel schlimmer. Es waren furcht bar viele Riesen. Sie sahen weder wütend noch freund lich aus und zeigten auch keinerlei Interesse. Nichts deutete darauf hin, dass sie die Wanderer gesehen ha t ten.
Dann – schwirr – schwirr – schwirr – kam ein schwerer Gegenstand durch die Luft geflogen und mit einem dumpfen Schlag traf ein großer Felsbrocken e t wa zwanzig Schritt vor ihnen auf. Und dann – bumm! – fiel ein zweiter fünf Meter hinter ihnen zu Boden.
»Zielen sie auf uns?«, fragte Eustachius.
»Nein«, sagte Trauerpfützler. »Wir wären um ein i ges sicherer, wenn sie das täten. Sie versuchen das da zu treffen
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