Lewis, CS - Narnia 6
trinken zu holen. Aber bevor das Getränk ankam, kehrten die Zwerge mit Spaten und Hacken zurück und rannten die Böschung hinauf. Dann hörte Jill Rufe: »He! Was machst du? Nimm das Schwert weg!« und »Nein, Kleiner, das solltest du nicht tun!« und »Der ist ganz schön bösartig, was?« Jill wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, als sie sah, dass in dem schwarzen Loch Eustachius aufge taucht war, mit blassem und schmutzigem Gesicht, in der rechten Hand das Schwert, das er gegen jeden schwang, der sich ihm näherte.
Denn natürlich hatte Eustachius die letzten paar M i nuten ganz anders verbracht als Jill. Er hatte Jills Au f schrei gehört und sie ins Ungewisse verschwinden s e hen. Wie der Prinz und Trauerpfützler hatte auch er gedacht, sie sei Feinden in die Hände gefallen. Von unten erkannte er nicht, dass das fahle, bläuliche Licht Mondlicht war. Er dachte, das Loch müsse in eine we i tere, von geisterhaftem Licht erhellte und von Gott weiß was für bösen Geschöpfen der Unterwelt bevöl kerte Höhle münden. Als er deshalb Trauerpfützler überredet hatte, ihn auf seinen Rücken steigen zu la s sen, und als er sein Schwert gezogen und den Kopf durch das Loch gesteckt hatte, war dies in Wirklichkeit eine sehr mutige Tat gewesen. Die anderen beiden hä t ten den Anfang gemacht, wenn dies möglich gewesen wäre, aber für sie war das Loch zu klein. Eustachius war ein wenig stämmiger als Jill (und viel ungeschic k ter), und als er durch das Loch schaute, stieß er sich oben den Kopf an, worauf eine kleine Schneelawine auf sein Gesicht herunterfiel. Als er nun wieder sehen konnte und entdeckte, dass Dutzende von Gestalten auf ihn zugerannt kamen, war es nicht weiter verwunde r lich, dass er versuchte sie abzuwehren.
»Hör auf, Eustachius, hör auf!«, rief Jill. »Es sind Freunde! Verstehst du nicht? Wir sind in Narnia. Jetzt ist alles gut.«
Da begriff er und entschuldigte sich bei den Zwe r gen (und die Zwerge sagten, es sei nicht der Rede wert). Und unzählige dicke, haarige, zwergige Hände halfen ihm heraus, wie sie vor wenigen Minuten Jill herausgeholfen hatten. Dann kletterte Jill die Böschung empor, steckte den Kopf in das dunkle Loch und ve r kündete den beiden Eingeschlossenen die gute Nach richt. Als sie damit fertig war, hörte sie Trauer pfützler brummen: »Oh, die arme Jill. Dieses letzte Erlebnis war zu viel für sie. Würde mich nicht wun dern, wenn sie den Verstand verloren hätte. Sie fängt an Dinge zu sehen, die es gar nicht gibt.«
Jill und Eustachius schüttelten sich die Hände und atmeten tief die freie, mitternächtliche Luft ein. Für Eustachius wurde ein warmer Umhang gebracht und beide Kinder bekamen etwas Heißes zu trinken. Wä h rend sie tranken, hatten die Zwerge schon auf einer großen Fläche an der Böschung um das Loch herum den ganzen Schnee und die Grasnarbe entfernt und nun bewegten sich die Hacken und die Spaten genauso munter wie zehn Minuten zuvor die Füße der Faune und Dryaden beim Tanz. Nur zehn Minuten waren ve r gangen! Und doch kam es Jill und Eustachius so vor, als wären all die Gefahren der dunklen, heißen und stickigen Unterwelt nur ein Traum gewesen. Hier draußen in der Kälte, mit dem Mond und den riesigen Sternen über ihnen (narnianische Sterne sind näher als die Sterne in unserer Welt) und umgeben von freund lichen, fröhlichen Gesichtern, fiel es schwer, an Unter land zu glauben.
Noch bevor sie ihre heißen Getränke getrunken ha t ten, kamen etwa ein Dutzend eben erst erwachte und noch sehr müde und wenig begeisterte Maulwürfe an. Doch sobald sie verstanden hatten, worum es ging, machten sie sich tatkräftig an die Arbeit. Selbst die Faune machten sich nützlich, indem sie die Erde in kleinen Schubkarren wegbrachten. Die Eichhörnchen tänzelten und hüpften aufgeregt hin und her, obwohl es Jill nicht klar wurde, was sie eigentlich zu tun glau b ten. Die Eulen und die Bären begnügten sich damit, Ratschläge zu erteilen, und fragten die Kinder unau f hörlich, ob sie nicht in die Höhle kommen woll ten (dorthin, wo Jill vorher das Feuer gesehen hatte), um sich aufzuwärmen und etwas zu essen. Aber die Kinder wollten unbedingt erst die Befreiung ihrer Freunde miterleben.
In unserer Welt gibt es niemand, der sich bei dieser Art von Arbeit mit den Zwergen und den Sprechenden Maulwürfen von Narnia messen könnte, aber natürlich halten die Zwerge und die Maulwürfe so etwas nicht für Arbeit. Sie graben furchtbar gerne. Es
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