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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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Landeflächen und Nistplätze für große Seevögel sein,
Albatrosse zum Beispiel, wobei es Albatrosse am Schwarzen Meer wahrscheinlich
gar nicht gibt.
    Eine
der ältesten Siedlungen Europas, eine thrakische Gründung, eine griechische
Kolonie mit Apollotempel und Befestigungsanlagen, Kirchen, Kirchen und nochmals
Kirchen, ein Auf und Ab zwischen blühendem Handelsplatz und Fischerdorf -
Rumen erzählt feurig, er ist in seine alte Reiseführerhaut geschlüpft. Das
zieht sogar ein Grüppchen deutscher Touristen an, die einen Kreis um uns
bilden.
    Plötzlich
legt er den Finger an die Nase, blickt die Neuankömmlinge streng an und sagt
scharf: Man will es vom UNESCO-Kulturerbe streichen wegen blödsinniger Bauvorhaben,
dabei ist es schon blödsinnig verbaut! und verscheucht damit das Grüppchen.
    Er
zwinkert mir zu: Das bulgarische Elend, wie es leibt und lebt.
    Erst
mal hinauf, sagt meine Schwester, damit wir einen Überblick gewinnen.
    Sie
springt voran, nimmt zwei Stufen auf einmal, ihre Gelenkigkeit signalisiert Übermut.
Sie war schon in Kindertagen die Beweglichere, lief schnell, schwamm gern,
turnte gern, ich war eine Sportniete, hockte lieber herum, war nur beim
Pingpong aus der Reserve zu locken. Darin war ich allerdings meiner Schwester
überlegen, vielleicht, weil ich gern zuschlug.
    Auf
den Steintreppen kommen uns Engländer entgegen. Es ist schwer, einen
ungestörten Blick zu gewinnen. Die oberen Häuser sind typische Schwarzmeerbauten
mit steinernem Erdgeschoß und dunklem Holzaufbau, vielfach verschnörkelt und
verziert, mit allerlei Erkern, Balkonen und Gesimsen von stattlicher Größe.
Überall Gaststätten mit Terrassen und Balkonen, rote Decken auf den Tischen,
Zierkrüge, angenagelte Weinschläuche an den Außenwänden; Fässer, alte
Karrenräder und leuchtende Geranien flankieren die Eingänge.
    Wir
finden auf einem der hölzernen Balkone Platz und schauen aufs Meer. Eigentlich
ein wunderbarer Ort, um sich niederzulassen, die Aussicht beruhigt. Aber die Beschallung
ist so bestialisch laut, dass an Genuss überhaupt nicht zu denken ist. Rumen
versucht mit einem Kellner zu verhandeln, ob man das leiser stellen könnte. Er
wird nicht verstanden. Auch in gleichmütiger Verfassung bin ich widerlicher
Beschallung nicht gewachsen. Meine Schwester flieht zuerst. Wir probieren es
beim nächsten und übernächsten Wirtshaus. Jedes Mal dasselbe. Eines kommt uns
leiser vor, wir unterziehen den Balkon einer Prüfung, es gibt eine lange
Diskussion, welcher von den beiden freien Tischen am weitesten vom Lautsprecher
entfernt steht.
    Wir
bestellen. Kaum ist die Bedienung fort, wird die Lautstärke aufgedreht. Und nun
erleben Rumen und ich ein verblüffendes Schauspiel: die Gesichtszüge meiner
Schwester verzerren sich. Vor lauter Ingrimm zieht sich der Kopf zwischen die
Schultern. Plötzlich haut sie mit beiden Fäusten aufs Holz (wie schmal ihre
Handgelenke sind, zum Dreinschlagen überhaupt nicht geschaffen), der Aschenbecher
- Pfauenaugendekor! - fliegt in die Luft und zerschellt am Boden. Sie brüllt.
Tatsache, meine Schwester brüllt. Damit nicht genug. Die Brüllerei bringt sie
erst recht auf Touren, sie packt einen Stuhl und schmettert ihn Richtung
Lautsprecher, trifft aber nicht. Der Stuhl, so ein klobiges Bauernstuhlimitat,
ist offenbar stabil. Er zerbricht nicht. Meine Schwester steht mit gesenktem
Kopf da und wird dabei von einer hysterischen Popmusikerin verhöhnt, die auf
sie hinunterkreischt.
    Rumen
und ich, wir sitzen unbeweglich nebeneinander. Zum ersten Mal erlebe ich verkehrte
Welt. Ich bin für Chaos zuständig, nicht sie. Meine
Schwester starrt zu Boden, die Hände wieder zu Fäusten geballt. Sie dreht sich
um, marschiert hartbeinig an einigen Tischen entlang - längst hat sich an den
vollbesetzten Bänken alles nach ihr umgedreht und staunt, wie's weitergeht.
Und wirklich, es geht weiter. Sie stellt sich vor die Schwingtür zum Saal und
brüllt hinein. Die genaue Satzfolge? Ich weiß nicht, weiß nur, Arschlöcher und Scheißdreck kommen
vor, mehrfach, was mich kaum weniger verblüfft als die Aktion mit dem Stuhl.
Wie ihre Frisur, wie ihre Handtasche, wie ihre zierliche Armbanduhr - zu
meiner Schwester gehört, dass sie sich der Fäkalwörter konsequent enthält.
    Tohuwabohu,
Kellnerinnen, der Wirt, alle kommen angerannt, Gäste erheben sich oder recken
die Hälse. Meine Schwester dreht sich um und steigt merkwürdig steif, Hände
immer noch geballt, langsam die Stufen zur unten gelegenen

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