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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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hochgeklappten Kanaldeckel entstieg ein Jesusgeschöpf mit
leuchtenden Mohnaugen und reiste nach Südamerika. Nicht in klassischer
Jesusmanier mit Fischerboot und Aposteln und Übers-Wasser-Gehen, eher wie ein
Vampir. Wo der Jesus-folger hintrat, gab's Revolution und Gemetzel. In Ecuador,
in San Salvador, in - keine Ahnung mehr wo. Als Tarnname benutzte er Müller
Mayer M.
    Unsere
Mutter entdeckte die Papiere und war alarmiert, schlimmer noch, sie stellte
mich nicht einfach zur Rede, sondern gab Müller Mayer M. heimlich
an einen ihrer Freunde weiter, der früher einmal für den Birkhäuser Verlag
gearbeitet hatte. Ein belesener alter Schwuler, der sich mit einem Kranz von
Bewunderinnen schmückte, denen er launig mitteilte, dass sie nichts wüßten. Er
saß, ich stand. Hochmütig saß er im Sessel, winkte mich heran und gab mir zu
wissen, Schreiben sei eine Kunst. Genüßlich zitierte er besonders alberne
Stellen und nannte mich fortan das Revolver Emmchen. Es war damals nicht
schwer, meinen Hass auf die Mutter zu schüren. Der Mann hatte einen todsicheren
Weg gefunden.
    Diese
unangenehme Erinnerung weckt heute Heiterkeit. Revolver
Emmchen traf den Nagel auf den Kopf, bloß war's der
falsche Zeitpunkt.
    Das
Fingertheater!
    Jetzt
fällt mir auf, dass der Mann denselben Fingertick hatte wie meine Mutter. Auch
seine Finger waren schlank, die Nägel sorgfältig manikürt, wenn auch nicht
lackiert, und er trug einen auffälligen Siegelring. Als er damals aus dem
Sessel heraus mit mir sprach, kam ein glanzvolles Fingerund Zigarettentheater
zur Aufführung, so ein Obenhin-Spiel mit ziehenden Schwaden, betontem Wegpusten
und angestrengtem Sinnieren. Wie dumm, dass sich der Humor erst spät einstellt.
Heute ließe ich mir eine Frechheit gern gefallen, wenn sie mit so viel Opulenz
inszeniert würde. Damals war ich eine unsympathische Halbwüchsige voll
Rachsucht und Wut.
     
    Nessebar
     
    Ohne
Störung fahren wir dahin, obwohl die Gegend beileibe nicht ansprechender wird.
Im Gegenteil, das verbaute Land zieht sich zusammen. Überall kleine Casinos, eher
Betonschuppen, die mit neonbeleuchteten Spielkarten und gelüpften Zylindern
werben. Nur Rumens Fahrstil hat an Geschmeidigkeit gewonnen. Kein Lastwagen
kann ihn aufregen, er lässt Nebenfahrer sich locker einfädeln, bremst mit
abgemessener Vorsicht und beschleunigt sanft.
    Nessebar.
Das berühmte Fischerdorf, in dem ich damals mit Lilo und ihrer Tochter gewesen
sein soll. Ich kann nichts wiedererkennen, nicht einmal die Mühle am Eingang
der Halbinsel, was nicht viel heißt, weil mein Gedächtnis für Orte nicht
sonderlich entwickelt ist. Ich erinnere mich an ein hölzernes Schiff mit
Piratenflagge, ein alter Großsegler, auf dem zwecks Anlockung von Touristen ein
junger Esel seinen wolligen Kopf für Streichelhände in Bereitschaft halten
mußte.
    Wir
parken vor einem kleinen Gebäude mit Vorgarten nahe dem Strand. Wahrscheinlich
hat Rumen gemerkt, dass mir die Liebeshändel nicht entgangen sind, vielleicht
hat ihn mein Wohlwollen überrascht. Liebeswellen, Liebespflichten,
Liebesverstörung, das kommt und geht, man muss nur warten. Mit Schwung öffnet
er die Tür und reicht mir galant die Hand zum Aussteigen. Indem er theatralisch
die Stirn runzelt und sich im schwäbischen Tonfall versucht, sagt er vergnügt:
Nun wollen wir mal gemeinsam das bulgarische Hotelelend betrachten.
    Das
Hotel gehört einer griechischen Familie. Die Wirtin verströmt eine lässige
Tüchtigkeit. Korpulent, aber nicht fett. Kräftig, aber nicht grob. Die Zimmer
sind groß, es herrscht der griechische Kahlstil, aber es ist bei weitem das
beste Hotel, das wir auf unserer Dreiertour bisher gefunden haben. Es gibt
eine Terrasse, die auf das Meer schaut, das Gärtchen darunter windet sich in
Stufen hinab und wird offensichtlich mit viel Liebe gehegt. Da sind schwache
Pflänzchen an Stöcke gebunden, um die stärkeren sind Ornamente aus Kieseln
gehäufelt. Wir loben die Anlage in verschiedenen Sprachen und haben die Wirtin
damit gewonnen. Sie serviert zur Begrüßung Kaffee.
    Bei
der Belegung der Zimmer denke ich, wozu das Getue, sie sollen sich doch ein
Doppelzimmer nehmen, schweige aber. In Liebesdingen anderer darf man sich nicht
einmischen.
    Wir
spazieren nicht auf der Meerseite, sondern über verschlungene Wege ins
Fischerdorf, auf einem Steg, der das Festland mit der Insel verbindet. Über der
alten Wehrmauer auf der felsigen Seite kleben verschachtelte Holzbauten mit
Terrassen. Das könnten

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