Liberator
hatte. Noch immer fühlte er ihre Fingerspitzen auf seinem Gesicht.
Wie hatte er nur alles so missverstehen können? Er hätte beinahe den schlimmsten Fehler seines Lebens begangen. Blind! Blind! Blind! Er hatte ihre Beziehung für beendet erklärt, er hatte versucht, Riff aus seinem Herzen zu reißen – und während der ganzen Zeit hatte Riff keinerlei Zweifel an ihren eigenen Gefühlen gehabt!
Plötzlich nahm er, undeutlich und vom Nebel verschleiert, einen rotgelben Feuerball wahr. Er konnte nicht sagen, wie weit entfernt die Prinz Eugen war, aber vermutlich hielt sie immer noch denselben Abstand. Gut, dass die Schornsteine des Liberator keine Glut von sich gaben.
Riff ahnte gar nicht, wie unrecht er ihr getan hatte. Vor langer, langer Zeit hatte sie ihn gebeten, ihr zu vertrauen; stattdessen hatte er sie aufgegeben. Er hatte das Vertrauen verloren und sie verraten, weil er Angst davor hatte, verletzt zu werden. Er war ein Feigling und ein Verräter. Er konnte sich selbst kaum vergeben – und doch war ihm schon vergeben worden. Ich kann auch nicht aufhören , hatte sie gesagt.
Das Gerumpel der Maschinen nahm stetig zu, bis der Juggernaut auf einmal einen regelrechten Sprung nach vorn machte. Col fühlte, wie ihn etwas zwischen den Schulterblättern berührte, dann auf dem Kopf. Wassertropfen?
Er sah nach oben, konnte aber nichts erkennen. Vermutlich lösten sich durch die Vibration der Maschinen Wassertropfen von den Drähten. Regen bringt Segen – der Spruch aus seiner Kindheit ging ihm durch den Kopf, als ein weiterer Wassertropfen auf seine Wange fiel.
Die Welt, die ihm kurz zuvor noch wirre und gefährlich erschienen war, war nun wieder ganz einfach. Seine Ängste und seine Verzweiflung, die Qualen, die er sich wegen Riff selbst zugefügt hatte – alles hatte sich in nichts aufgelöst!
Der Juggernaut wurde jetzt schneller und schneller. Ein Wassertropfen fiel ihm in den Mund und glitt über seine Zunge. Es schmeckte kühl und köstlich.
43
Der Abstand zwischen den beiden Juggernauts wurde größer. Eine Minute nach der anderen verging, und noch immer hatte der österreichische Juggernaut nicht bemerkt, dass der Liberator sich immer weiter entfernte. Col starrte auf die Feuerbälle über den Schornsteinen der Prinz Eugen , bis sie schließlich ganz und gar im Nebel verschwanden.
Plötzlich gab das Horn der Prinz Eugen einen ganz neuen Ton von sich: wie ein lang anhaltendes Wutgeheul. Jetzt hatten die Österreicher verstanden; sie würden die Verfolgung wieder aufnehmen.
Immer noch fuhr der Liberator seinem Verfolger davon. Col fühlte den Fahrtwind in seinen Haaren, feuchte Nebelschwaden wehten ihm ins Gesicht. Doch nun begann der Juggernaut dermaßen stark zu vibrieren, dass fraglich war, wie lange er dieses Tempo noch beibehalten konnte. Nach ein paar weiteren Minuten war ein seltsames Zischen und Keuchen von Unten zu hören. Col mochte sich gar nicht vorstellen, unter welchen Bedingungen die Dreckigen dort an den Kesseln und Turbinen arbeiten mussten. Zeit für Stufe 2 des Plans, dachte er.
Und obgleich er es erwartet hatte, riss es ihn von den Füßen, als der Juggernaut die Fahrtrichtung wechselte. Er hielt sich an der Brüstung fest, während der Liberator nach rechts drehte. Nach weiteren dreißig Sekunden waren alle Maschinen zum Stillstand gekommen. Der Juggernaut rollte langsam aus.
In der Stille, die folgte, war einzig das näherkommende Donnern der Prinz Eugen zu vernehmen. Die rotgelben Feuerbälle glühten durch den Nebel auf. Die Österreicher kamen von links mit enormer Geschwindigkeit angerauscht. Col hielt die Luft an. Sie waren keine fünfhundert Meter mehr entfernt. Aber solange er ihren Rumpf nicht ausmachen konnte, konnten auch sie den Liberator nicht sehen. Ihr Horn gab ein erneutes Wutgeheul von sich – und die Prinz Eugen war an ihnen vorbeigezogen. Vermeintlich auf der Spur des Liberator !
Col ließ die Brüstung los und schüttelte triumphierend seine Fäuste. Er fragte sich, ob die Dreckigen auf der Brücke wohl feierten und wünschte sich jemanden, der mit ihm feierte.
Nach und nach verschwanden die Feuerbälle wieder im Nebel. Und das nächste Mal, als das Horn der Prinz Eugen ertönte, war es nur noch ein ganz leiser gedämpfter Ton aus der Ferne. Wenn die Österreicher klug waren, würden sie anhalten und warten, bis sie die Spuren des Liberator wieder erkennen konnten. Er hoffte, dass sie nicht klug waren, und dass sie mindestens hundert Meilen am Ziel
Weitere Kostenlose Bücher