Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)
Moment wie ein dünnes schwarzes Elektrokabel aus. Es ragte etwa eine Handbreite unter der Bettdecke hervor, die sie vorhin flüchtig glatt gezogen hatte.
Kendira runzelte die Stirn, griff danach– und hielt im nächsten Moment eine dünne schwarze Lederschnur in der Hand, an deren Ende eine wunderschöne steinerne Pfeilspitze hing.
Verblüfft legte sie den beidseitig gezackten grauschwarzen Stein in ihre Handfläche und bewunderte ihn von allen Seiten. Er war etwa so lang wie ihr Daumen. Dass in diesem Gebiet einst Indianer gelebt hatten und man früher solche Pfeilspitzen und ähnliche indianische Artefakte bei den Bauarbeiten gefunden hatte, war ihr bekannt. Aber neue derartige Funde hatte es schon seit Jahren nicht mehr gegeben. Zumindest hatte sie nichts davon erfahren.
Sie brauchte nicht zu rätseln, wer ihr die Schnur mit der Pfeilspitze ins Bett geschmuggelt hatte. Es konnte niemand anders als Dante gewesen sein! Er musste sich in die Lichtburg und in ihren Dorm geschlichen haben, während der gesamte Konvent auf dem Schwarzen Würfel die Ankunft des Lichtschiffes erwartet hatte. Im Schlafsaal ihr Bett zu finden, war nicht schwer gewesen, trug doch jeder Spind den Namen des Electors, dem der türlose schmale Metallschrank gehörte, der stets links neben der Bettstelle stand.
Kendira brauchte auch nicht lange zu überlegen, was es mit dem Geschenk auf sich hatte. Bestimmt war Dante sich seines skandalösen Verhaltens bei den Büschen der Half Moon Bay letzte Nacht bewusst geworden. Die Reue musste ihn gepackt haben, vielleicht auch die Angst, dafür irgendwie büßen zu müssen. Und mit diesem Geschenk versuchte er nun, sie versöhnlich zu stimmen.
Aber so einfach würde sie es ihm nicht machen, so schön die indianische Pfeilspitze auch sein mochte! Sie würde das Geschenk nicht annehmen, geschweige denn es sich um den Hals hängen!
Sie rollte die Lederschnur um den grauschwarzen Stein und versteckte ihn hinter einem Stoß sorgfältig zusammengefalteter Pyjamas. Dann beeilte sie sich, dass sie in den Waschraum kam.
Als die Fanfarenklänge den Konvent zum Morgenlob auf den Appellplatz riefen, stand Kendira neben ihrem Bett und band sich gerade ihren weißen Kordelgürtel vorschriftsmäßig um die Hüften. Sie wollte sich schon umdrehen und wie die anderen aus dem Dorm eilen, als plötzlich ein seltsamer Impuls sie überkam.
Als würde ein fremdes Ich ihren Willen übernehmen, griff sie in den Spind, holte die Lederschnur mit der Pfeilspitze hervor, hängte sie sich rasch um den Hals und ließ sie unter ihrer Kutte verschwinden.
Warum tust du das? Du wolltest es dir doch aufkeinen Fall umhängen?, fragte sie sich verwundert .
Ich trage es ja nur, bis ich Dante zur Rede gestellt habe!, antwortete sie sich selbst, als lebten in ihr zwei Stimmen, die nicht immer einer Meinung waren. Ich werde es ihm vor die Füße werfen und ihm sagen, dass er es sich sonst wohin stecken kann. Und da ich nicht weiß, wann sich eine Gelegenheit dazu ergibt, trage ich das Halsband am besten immer bei mir!
Sie verließ den Schlafsaal und reihte sich wenig später unten im Alpha-Block der Mädchen ein. Und gleich daraufbegann das Morgenlob.
36
Kendira ließ die morgendliche Zeremonie völlig unbeteiligt über sich ergehen. Von der Freude, dem Stolz und der Hingabebereitschaft, mit der sie jahrelang das Morgenlob und all die anderen täglichen Rituale mitgesprochen hatte, war nichts mehr übrig. Aus der lodernden Flamme war ein Häuflein Asche geworden, unter der nur noch ein kleiner Rest Glut gegen das endgültige Erlöschen ankämpfte.
Beim Frühstück suchten ihre Blicke vergeblich nach Dante. Dafür sah sie ein neues Gesicht unter den Servanten, die im Refectorium die Electoren bedienten. Ihr war, als hätte sie dessen Gesicht schon mal hinter der Küchendurchreiche gesehen.
Sie war versucht, zu ihm zu gehen und ihn zu fragen, ob er seinen Küchendienst mit Dante getauscht hatte. Aber das verkniff sie sich dann doch. Es konnte ja gar nicht anders sein. Nicht nach dem Übergriff, den sich Dante in der Nacht am See geleistet hatte.
Die Unterrichtsstunden am Vormittag zogen sich quälend lange hin. Sie hatte Mühe, sich auf den Stoff zu konzentrieren, und den anderen Electoren erging es nicht viel besser. Überall fiel der Blick auf müde, lustlose Gesichter. Selbst den Lehrern war anzumerken, dass sie letzte Nacht zu wenig Schlafbekommen hatten. Auch sie quälten sich spürbar durch den Vormittag.
So war es kein
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