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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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Darum wird Dr. Walther ihr diesmal ein etwas – stärkeres Beruhigungsmittel als beim letzten Mal verabreichen, verstehst du? Sie wird dann während der Untersuchung schlafen.«
    Plötzlich drehte sie den Kopf, und als Ernesto ihrem Blick folgte, sah er den Kollegen seines Vaters aus dem Ärzteaufzug treten, der Liberty Bells Zimmer schräg gegenüber lag.
    »Verdammt, nein«, fauchte Ernesto. »Bis vor ein paar Wochen war sie ein gesunder, selbstständiger Mensch. Seht ihr nicht, was ihr aus ihr macht? Eine Schwerkranke!«
    Dr. Walthers Gesicht war wie aus Stein gemeißelt, während er die Floskeln abspulte, die Ernesto erwartet hatte: Unsinn, medizinische Notwendigkeit, ärztliche Verantwortung, ich werde wohl deinen Vater einschalten müssen, diese Art Aussagen waren es.
    »Ich lasse nicht zu, dass sie weiter mit diesem Beruhigungsscheiß vollgepumpt wird!«, schrie Ernesto, ohne auf den spindeldürren, baumlangen Dr. Walther zu achten, von dem er durch seinen Vater wusste, dass er als Kind mal Kinderlähmung gehabt und privat ein extrem introvertierter Einzelgänger war. Als Arzt jedoch fühlte er sich sichtbar mächtig und unantastbar.
    »Ich habe in der verdammten Schule gelernt, dass dies ein verdammt freies Land ist!«, brüllte Ernesto. »Ein Land, in dem jeder sein verdammtes Recht auf Selbstbestimmung hat! Auch jemand wie Liberty Bell! Sie ist, verdammt, außerdem kein Kind mehr!«
    Mit bebenden Händen öffnete er seinen Rucksack, alles ging wahnsinnig schnell, und das war seine einzige Chance, das spürte er deutlich.
    »Liberty Bell, sieh – guck hin – verdammt – was ich dir mitgebracht habe …«, schnaubte er atemlos. Die Blume, die ihre beste Zeit hinter sich hatte, der Stein und die Tannenzapfen rollten auf Decke, Matratze und Klinikboden, aber der Eve-Nachkomme landete zum Glück, wo er landen sollte: auf Liberty Bells Körper, in einer weichen Deckenkuhle auf ihrem Bauch. Er machte seine typischen Klagelaute und sah grotesk aus: zerstrubbelt, gesträubt, verschreckt, bissig und außer sich.
    »Herrgott, nein!«, sagte Dr. Walther angewidert. Rattenexkremente kullerten auf das graue Linoleum, es roch säuerlich.
    »Eve …«, flüsterte Liberty Bell in diesem Moment für alle vernehmlich und ihre Hände schlossen sich um das zappelnde Tier.
    »Nein, leider nicht Eve. Aber eines von ihren Kindern, schätze ich«, sagte Ernesto und ging neben Liberty Bell in die Hocke. Seine Hand berührte ihre, als er sich vorbeugte und das kleine Tier, Liberty Bell zuliebe, vorsichtig mit dem Zeigefinger streichelte. »Es… es war das Einzige, das noch da war, als ich… heute früh dort war.«
    »Dort war«, wiederholte Liberty Bell.
    Ernesto nickte und hatte das Gefühl, die Zeit würde zur gleichen Zeit stehen bleiben und weiterrasen.
    Eine ganze Weile geschah nichts, außer dass Liberty Bells Finger die kleine, hässliche Biberratte streichelten.
    »Ich habe ihn Sergeant Pepper genannt«, sagte Ernesto schließlich in die Stille hinein. Er war sich der lauschenden Ärzte im Hintergrund deutlich bewusst, aber er ignorierte sie.
    »Sergeant Pepper«, wiederholte Liberty Bell schließlich mühelos die unbekannten Worte.
    »Ja, nach einer alten Schallplatte von den Beatles. Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band. Schöne Musik. Ich werde sie dir vorspielen, sobald – dieser Unsinn hier vorbei ist, versprochen!«
    »Dort war?«, sagte Liberty Bell in diesem Moment noch einmal. Ihre weit geöffneten Augen schienen etwas zu fragen, während sie Ernestos Blick suchten, der sofort und auf Anhieb verstand.
    »Hey, willst du wissen, ob – ob dein Wald, deine Hütte weit weg sind von hier? Oder noch erreichbar? Ist es das, was du wissen willst?«
    Liberty Bell nickte kaum merklich. Ihre hellen Augen hatten einen entrückten, verwirrten Ausdruck.
    »Erreichbar!«, sagte Ernesto schnell.
    »Ich muss nun wirklich …«, setzte Dr. Walther an, aber Dr. Bolino schaffte es, ihn mit einem »Pst, bitte« tatsächlich zum Schweigen zu bringen. Wenigstens für den Moment. Ernesto atmete innerlich auf. Verdammt, warum nur war er nicht alleine mit Liberty Bell?
    Die kleine Ratte pinkelte unterdessen auf die weiße Krankenhausdecke, mitten hinein in die weiche Kuhle.
    »Igitt. Warte, ich mach das schon«, sagte Ernesto, griff nach einer Packung Kleenex, die auf dem Nachttisch stand, zupfte Papier und reichte es an Liberty Bell weiter, die den Eve-Nachkommen inzwischen hastig zu sich unter die Decke genommen hatte und

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