Liberty: Roman
die Tischplatte und beugt sich vor, so dass die großen titi dicht über unseren Gläsern und Flaschen schaukeln.
»Marcus«, sagt sie.
»Was kann ich für dich tun?«
»Ich muss mit dir reden.«
»Worüber?«, frage ich. Chantelle wirft dem Sikh-Jungen einen raschen Seitenblick zu; er soll nicht hören, was sie zu sagen hat.
»Über Geschäfte. Du kannst morgen zu mir nach Hause kommen.«
»Ich werde versuchen, es einzurichten«, sage ich. In diesem Moment kommt Solja mit feuchten Augen zurück und wirft Chantelle einen Blick zu.
»Hast du mit meinem Vater gepumpt?«, fragt Solja in totalem Gassen-Swahili.
» Tsk , dieses Kind ist schlecht«, sagt Chantelle und geht würdevoll zurück zur Bar. Vielleicht hat sie. Vielleicht ist der Vater des Sikh-Jungen mit Chantelle zusammen gewesen. Ich weiß es nicht. Mir ist es egal. Ich rufe die Kellnerin und bezahle die Rechnung, obwohl Solja protestiert, dass sie nicht nach Hause will. Aber ich packe sie fest am Arm, ziehe ihr den Schlüssel aus der Tasche und schleppe sie zum Auto. Jetzt heult sie, vollkommen erledigt, und direkt nach dem Kreisel schlägt der Magen des Mädchens einen Purzelbaum. Sie kotzt aus dem Fenster, es läuft außen am Wagen herunter. Zwölf Jahre – tsk .
CHANTELLES ARMUT
» Wir müssenumziehen , aber das andere Haus ist bereits voller Sachen, darum will ich etwas verkaufen«, sagt Chantelle mit einer Armbewegung über das Wohnzimmer. Möbel, Stereoanlage, Ventilator, alles hat Asko bezahlt. Chantelle muss nicht umziehen, aber sie will nicht ehrlich sein. Es ist ihr ins Blut übergegangen, sich materialistisch zu zeigen. Aber da es schwierig ist, einen anderen Sponsor zu finden, muss sie etwas von ihrem Eigentum verkaufen.
»Ich habe kein Geld für so was«, sage ich.
»Aber vielleicht kennst du jemanden? Wenn du die Sachen verkaufst, werde ich dich mit einem Anteil der Einkünfte bezahlen. Ich selbst – ich habe dafür keine Zeit«, sagt Chantelle. Eeehhh , es ist keine Frage der Zeit, nur haben diese Dinge lediglich einen Markt bei den wahindi , und wie könnte Chantelle als Händlerin an deren Tür kommen? Die indischen Männer haben sie möglicherweise gepumpt, und die indischen Frauen würden sie mit einem Besen vertreiben, denn jeder sieht doch, was sie verkauft.
»Okay«, sage ich. »Ich nehme die Stereoanlage. Mal sehen, zu welchem Preis ich sie verkaufen kann.«
»Nein, nicht so. Du findest einen Käufer und bringst ihn her. Wenn der Preis ausgehandelt ist, gebe ich dir zehn Prozent.« Chantelle will nicht betrogen werden. Und ich soll ihr die wahindi sogar noch zur Tür hereinbringen, damit sie sehen können, dass in diesem Haus in aller Diskretion gepumpt werden kann.
»Ich habe bereits eine eigene Arbeit. Wenn ich dein Verkäufer sein soll, bekomme ich dreißig Prozent.«
»Dreißig Prozent!? Tsk , du bist verrückt.« Aber sie ist auch verrückt. Sie hätte sich nach Asko erkundigen sollen: »Woher kommt dieser Mann, welchen Hintergrund hat er, was ist er, was will er?« Aber sie hat nicht die notwendigen Erfahrungen, um die Realität zu begreifen. Nur die Hoffnung, das System am Laufen zu halten. Sie wird zerstört enden. Bereits jetzt ist es schwer, den großen Fisch zu fangen; die Familie fährt bald wieder auf null, und das Sandschloss stürzt in kurzer Zeit zusammen, platt. Ärmer als je zuvor. In der Küche steht das Hausmädchen, und Chantelles Tochter ist auf dem Internat in Arusha; Chantelle pumpt, damit das Mädchen einmal weiterkommt im Leben. Ich sehe sie an. Sie hat bereits getrunken, obwohl es noch hell ist. Und im Licht sehe ich, dass auch sie älter wird.
»Dreißig Prozent«, sage ich. Sie steht auf und kommt zu mir. Setzt sich mit formvollendeten Schenkeln auf die Armlehne meines Stuhls, ihr Hinterteil an meiner Schulter, meinem Arm, meinem Körper.
»Wenn wir zwanzig Prozent sagen, dann kann ich dir auch bei deinen Bedürfnissen helfen«, sagt sie. Ich stehe auf und trete zwei Schritte beiseite.
»Dreißig«, sage ich.
Chantelle seufzt.
»Okay«, sagt sie.
SHERIFF REBEKKA
Ich komme um die Ecke meines Ghettos und sehe: Der Wachmann läuft wie eine Gazelle die Einfahrt hinauf, zum Tor hinaus, auf die Straße. Was? Auf der Veranda steht Rebekka und lacht. In der Hand: den Revolver. Der Wachmann weiß es, denn ich habe ihm erzählt, dass es im Haus einen richtigen Revolver gibt. Rebekka weiß nicht, was sie tut. Ich laufe hinauf, packe ihn mit der Hand und ziele nach oben, wobei ich brülle: »Lass
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