Liberty: Roman
los!« Sie bekommt einen gewaltigen Schrecken. Auch weil ich so hart anfasse, schreit sie, spannt die Hände an und drückt ab. PAW – ein Riesenknall. Zerbrochene Dachziegel regnen auf unsere Köpfe. Rebekka weint – ein dreijähriger Revolvermann. »Du darfst ihn nie wieder anfassen«, sage ich. Aber wie kann sie ihn nie wieder anfassen, wenn der Vater ihn wie ein Bonbon herumliegen lässt?
Ich erzähle es Katriina. Sie wird weiß wie Mehl, sagt aber nichts. Am nächsten Tag ist der Revolver nirgendwo zu finden, aber das Handschuhfach des Peugeot ist jetzt abgeschlossen.
Alles ist angespannt. Auch weil Jonas keine Erde mehr hat, die er sich in den Mund stopfen kann. Und er kann Zigaretten nicht ausstehen. Von Zigaretten bekommt er einen höllischen Husten. Und bhangi hat kein Nikotin.
Das Projekt kommt nicht voran. Normalerweise muss ich alles ausspionieren und Jonas berichten. Aber in diesen Zeiten fragt er nicht einmal. Ich orientiere mich in Richtung Gösta, der möchte, dass es mit dem Projekt weitergeht, denn er hat eine Chagga-Frau geheiratet. Jeden Tag frage ich ihn: »Kann ich irgendetwas für Sie tun?« Gösta dreht die Spionage um.
»Was treibt Jonas?«, fragt er, und ich erzähle alles.
Christian
»Dein Vater ist hier«, sagt Panos zu mir in der Pause.
»Wo?«
»Ich hab gesehen, wie er ins Büro gegangen ist. Bist du bereit für einen Anpfiff?«
»Total«, sage ich. In der nächsten Stunde kommt die Sekretärin und erklärt, ich solle ins Büro kommen.
» Tsk, tsk , tsk, Christian«, schnalzt Diana. Jarno zeigt mir seinen erhobenen Daumen. Ich folge dem enormen Arsch der Sekretärin ins Büro und hinein zu Owen. Dort sitzt Vater.
»Du bist wirklich zu blöd, Christian«, sagt er auf Dänisch.
»Ist wohl erblich«, erwidere ich.
Owen fordert mich auf, mich zu setzen. Ich setze mich. Er sagt: »Wir sind uns einig, dass du in der Schule wohnen wirst, weil dein Vater so viel unterwegs ist. Ab Sonntag bist du Internatsschüler. Du ziehst ins Kijana, ins Zimmer mit Böhmer. Wir sind uns im Klaren über deine … deine schwere Zeit, daher ziehen wir einen Strich unter die jüngsten Vorkommnisse, aber wenn in der elften Klasse auch nur das Geringste vorfällt, bist du draußen. Ganz draußen.« Owen starrt mich an.
»Jawohl«, sage ich.
»Gut.« Er schaut in einige Unterlagen auf seinem Schreibtisch. Es ist die reine Korruption. Ich müsste mindestens vierzehn Tage relegiert werden – möglicherweise sogar endgültig fliegen. Aber mein Vater ist im Verwaltungsrat und hat dort einiges bewirkt; und sicherlich würde er den Verwaltungsrat verlassen, wenn er kein Kind mehr an der Schule hätte. Als Entschuldigung heißt es, ich hätte eine schwere Zeit gehabt, weil meine kleine Schwester tot und meine Mutter abgehauen und untreu ist und alle davon wissen. Owen blickt wieder auf. »Das war’s«, sagt er. »Du meldest dich bei Sally im Kijana am Sonntag um 16 Uhr.« Wir stehen auf. Ich gehe hinaus. Vater wechselt noch ein paar Bemerkungen mit Owen. Dann kommt er auch heraus.
»Tja, das war also der Handel«, sage ich zu ihm. Er geht direkt an mir vorbei zum Parkplatz.
»Wir haben uns nichts zu sagen«, erklärt er.
Ich gehe zurück in den Unterricht.
»Haben sie dich gefeuert?«, will Jarno wissen.
»Im Gegenteil«, sage ich. »Ab Sonntag im Kijana.«
»Okay«, sagte Jarno.
»Ruhe bitte«, sagt der Lehrer.
Böhmer ist ein deutscher Zwangsneurotiker, der stramme helle Leinenhosen, blank geputzte Halbstiefel und eng sitzende langärmelige Hemden trägt, die bis zum Hals zugeknöpft sind, und mit einem Aktenmäppchen herumläuft. Sein frisch gemachtes Bett würde jede germanische Militärkaserne erfreuen, außerdem darf man in seiner Hälfte des Zimmers nichts berühren. Aber er raucht jeden Abend bhangi , gerollt in Zigarettenpapier, das er einem Norweger abkauft.
»Leg ein Handtuch vor die Türritze«, sagt er.
»Mach’s doch selber.«
»Willst du mitrauchen?«, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich selbst habe nichts.
»Okay«, erwidere ich und drücke mein Handtuch in die Türritze, damit weder das Licht zu sehen noch der Rauch zu riechen ist. Hinterher wird im Zimmer ein bisschen Mückenspray gesprüht, dann legen wir uns schlafen.
Freitagabend werden wir ins Kino gefahren. Ich habe wieder angefangen, mit Sif zu gehen, obwohl wir uns so gut wie nie unterhalten. Ich rauche in der Dunkelheit des Kinos, damit ich sie nicht küssen muss.
Am Samstag werden wir auf dem Pick-up-Truck
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