Liberty: Roman
eigenen Bedarf oder schmuggeln die Ernte nach Kenia. Laut Plan sollte Vater eine Art mobiler Buhmann sein: Er sollte zu den unterschiedlich großen Einheiten fahren und neue Buchführungsmethoden einführen, die den Betrug erschweren und es erleichtern, die Geldströme zu kontrollieren. Aber die einheimischen Bosse erklären ihm, es müsse ein gewisser Spielraum für Betrug bleiben, denn wenn das nicht von vornherein im System verankert ist, wird das System vom ersten Tag an sabotiert.
Die Schule hat Katriina überredet, mich aufzunehmen, bis sie Vater erreicht haben. Ich wohne in Marcus’ Ghetto, im leeren Nebenzimmer, weil das Hausmädchen fort ist. Und warum ist sie weg? Ich vermute, Jonas wollte mehr von ihr, als Katriina ertragen konnte.
Es gibt einfach zu viel Ärger. Ich darf nicht mehr mit dem Motorrad zur Schule fahren, weil nicht alle möglichen verantwortungslosen Jugendlichen mit schweren Maschinen auf dem Gelände herumkurven sollen, wenn sich kleine Kinder in der Nähe befinden.
Wenn Jonas da ist, streitet er sich mit Katriina, allerdings ist er so gut wie nie da.
Marcus
SOLJAS KOTZE
Das Geschrei in diesem Haus wird von Tag zu Tag lauter. Ich sitze in meinem Ghetto und höre fast alles. Sie essen. Und es wird laut. Katriina: »Ich will die Scheidung. Ich fliege mit den Kindern zurück nach Schweden. Ich erzähle der Botschaft, dass du nur wegen der schwarzen Nutten hier bist und das Geld der SIDA veruntreust. Du wirst gefeuert. Und in Schweden wirst du nie wieder einen Job kriegen, weil du zu faul bist. Du kannst nur saufen, Pot rauchen, bescheißen und ficken!« Solja kommt auf die Veranda. Sie geht zum Auto und setzt sich hinein.
»Was zum Henker machst du da?«, brüllt Jonas aus dem Haus. Solja wirft die Wagentür zu. Sie hat den Schlüssel und lässt den Wagen an. Jonas stürzt auf die Veranda, zum Auto. Sie fährt bereits, gibt Gas; er muss zur Seite springen, um nicht überfahren zu werden. Er versucht, einen Türgriff zu fassen, aber die Türen sind verschlossen. Solja ist auf dem Weg durch das offene Tor, sie hupt und tritt aufs Gaspedal – die Reifen drehen durch, dann rast der Wagen über den Feldweg. Fort in die Dämmerung.
»Verfluchte Scheiße!«, flucht Jonas auf Schwedisch. Ich stehe an der Hintertür des Hauses, hungrig. »Ich hole Solja zurück«, sagt Jonas und schwingt sich auf sein Motorrad. Doch er ist nicht hinter Solja her, sondern hinter der Betäubung durch Bier, bhangi und malaya .
Ich gehe in die Stadt, um Solja zu finden. Der Peugeot steht vor der Stereo Bar. Ja, Solja sitzt dort mit ihren Freunden. Der Sikh-Junge aus der Schule, mwarabu-coco aus Swahilitown. Sie ist besoffen. Zwölf Jahre. Aber der Barkeeper kann das Alter einer mzungu nicht einschätzen, und sie hat bereits titi – das Mädchen könnte durchaus als erwachsen durchgehen.
»Lass uns nach Hause gehen«, sage ich.
»Bring uns vier Safari!«, ruft Solja dem Barkeeper zu und guckt mich an. »Du solltest ein Bier trinken, Marcus.« Ihre Freunde sind still. Ich bemerke, dass Chantelle an der Theke sitzt und mir zusieht. Askos ausgehaltene Frau. »Das wird sich für mich auszahlen«, hat sie sich gedacht, als Asko ihr ins Netz ging. Was ist mit ihr passiert? Sie hockt in einem Haus und kann die Miete nicht bezahlen. Sie hat eine kleine Stereoanlage, scharfe Klamotten, feine Möbel – alles bezahlt von Asko, weil die Wunder sein Gehirn überschwemmt haben. Und dann wurde Asko nach Hause geschickt.
Die Kellnerin kommt mit unserem Bier.
»Du weißt doch immer alles, was hier vor sich geht«, sagt Solja zu mir auf Schwedisch.
»Ich weiß gar nichts«, sage ich.
»Ist das nicht Askos Nutte, die da oben sitzt?«, fragt Solja.
»Ja, das ist sie.«
»Was macht sie jetzt?«
»Sie ist auf der Jagd.«
»Wonach?«
»Einem Mann mit Geld.«
»Vielleicht kann sie meinen Vater fangen«, sagt Solja und fängt an zu lachen. Das Lachen ist hässlich, sie steht auf und geht auf die Toilette im Hinterhof – dunkel und dreckig.
»Geh mit ihr«, sage ich zu mwarabu-coco . »Du wartest auf sie und kommst mit ihr zurück.«
»Okay«, antwortet er und drückt sich aus der Sitzecke, geht Solja nach.
»Ihr geht es nicht gut«, sagt der Sikh.
»Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Sie kommt schon zurecht.« Jetzt steht Chantelle auf, den Blick auf mich gerichtet. Sie wiegt sich in den Hüften, als sie auf mich zukommt, stellt sich mit gespreizten Beinen ans Tischende, stemmt beide Handflächen auf
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