Liberty: Roman
dabei Ian Flemings Thunderball . Die Bibliothek in der ISM ist voll mit solchem Zeug. Wenn die Schüler nach Hause fahren, nehmen sie all ihre seriösen Bücher mit. Aber Übergepäck ist teuer, also werden die Schundromane der Schulbibliothek vermacht. Ich koche mir noch eine Tasse Kaffee. Setze mich draußen in den Schatten, ein wenig schwer im Kopf – es wird der Irish Coffee gewesen sein, den ich bei Larssons getrunken habe.
Ich höre ein Auto. Es ist Gösta. Er ist auch auf dem Fest gewesen und wirkt angespannt, als er aussteigt.
»Ist dein Vater wach?«, fragt er.
»Noch nicht. Willst du etwas von ihm?«
»Ich werde ihn wecken müssen«, sagt Gösta und kommt aufs Haus zu.
»Ist irgendwas passiert?«
Er bleibt mit der Hand auf der Klinke stehen.
»Jonas ist tot«, sagt er und geht hinein.
»Tot?« Ich folge ihm. »Wieso?« Gösta geht über den Flur zum Schlafzimmer.
»Katriina fand ihn heute Morgen in der Sauna. Tot.«
»Aber wie?«
»Ich weiß es nicht.« Gösta öffnet die Tür zum Schlafzimmer. Ich folge ihm, aber er legt mir die Hand auf die Brust.
»Geh nach draußen, Christian. Ich sage es ihm.« Dann schließt er die Tür. Ich bleibe zwei Sekunden stehen, überlege, ob ich horchen soll, entscheide mich aber dagegen. Gehe nach draußen, zünde mir eine Zigarette an. Es vergeht eine gewisse Zeit, dann höre ich den Alten im Badezimmer; Gösta geht in die Küche und hantiert mit dem Elektrokocher. Ich rauche zu Ende und drücke die Zigarette aus, als ich höre, wie der Alte in die Küche kommt. Ich gehe zu ihnen. Vater sitzt mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch, grau im Gesicht.
»Du musst etwas essen«, sagt Gösta. Der Alte kaut ein wenig auf einem Stück Toast. Isst eine Banane. Sieht mich an.
»Wir fahren jetzt zu Katriina und sehen, ob wir ihr irgendwie helfen können«, sagt er.
»Ich komme mit.«
»Nein.«
»Aber mein Motorrad steht dort.«
»Das kannst du später abholen.»
»Ich brauch’s aber.«
»Später«, erklärt er und bedenkt mich mit einem Blick, der mich still sein lässt. Soll ich ihm den Schlüssel geben und darum bitten, dass Marcus es hierherbringt, damit ich erfahre, was dort vor sich geht? Aber der Alte stellt die Kaffeetasse ab, erhebt sich schwerfällig und geht auf die Toilette. Ich höre, wie er sich erbricht. Gösta trinkt seinen Kaffee. Sieht mich an und hebt ein einziges Mal die Augenbrauen. Als der Alte zurückkommt, riecht er nach Zahnpasta. Er zeigt auf mich.
»Du bleibst hier, bis ich zurück bin«, sagt er. Ich nicke. »Ich meine es ernst.«
»Okay, okay«, sage ich.
Marcus
DAS GUTE BÖSE
PAH, PAH, PAH … Die Schläge regnen über die vernarbte Haut meines Rückens, wo Vater mich meine ganze Kindheit mit seinem Gürtel geschlachtet hat. Sie regnen über meine wiedervereinigten Beine, meinen abgeernteten Hintern. Die Polizei hat mich aus der Badewanne mit Wasser gehoben, damit sie nicht nass werden, wenn sie mich verprügeln. Die Furcht vor dem Tod öffnet mein Arschloch total, Scheiße läuft heraus.
»Du kleine Drecksau«, sagt ein Polizist und tritt mir in den Rücken. Ich versuche, von meinen Peinigern wegzurollen – der Betonfußboden ist nass von meiner Pisse, meinem Blut und meiner Scheiße. Die Polizisten lachen bloß. Wenn einer müde geworden ist, macht er eine Pause und raucht eine Zigarette, sie wechseln sich ab, damit die Kräfte frisch bleiben. Sie packen mich und schmeißen mich wieder in die Wanne mit dem kalten Wasser.
»Bald holen wir unser Werkzeug, und dann wirst du singen wie ein Papagei«, sagt einer von ihnen. Sogar ein Leben im Karanga Prison ist besser als diese Todeszelle. Ich heule wie ein Baby: »Hört ihr auf, wenn ich sage, dass ich es war?«
Meine Rettung ist der Polizeibeamte, der jetzt hereinkommt. Er hat viele Streifen an der Uniform – wichtig.
»Wieso verprügelt ihr diesen Mann?«, fragt er.
»Vielleicht hat er den mzungu in der warmen Hütte getötet, oder er weiß möglicherweise etwas. Aber er will es nicht sagen.«
»Geht raus. Ich werde mit ihm sprechen.«
»Jawohl«, sagen sie und gehen.
»Nun, dieser Mörder- mzungu ist tot, hmmm.« Eeehhh , es ist der Polizeibeamte von dem Unfall am West-Kilimandscharo – die zerquetschte mama zwischen den Baumstämmen.
» Shikamoo mzee «, quieke ich. Er bietet mir eine Zigarette an. Ich hebe meinen Arm aus dem Wasser, um sie zu nehmen, aber meine Hand zittert total. »Warte«, sagt er und zündet die Zigarette an, steckt sie mir zwischen die Lippen.
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