Liberty: Roman
ihm sehen? Nein, ich lasse den Despoten leiden. Ich gucke durch die Küchentür, bwana Knudsen geht auf betrunkenen Beinen zu meinem Ghetto, um seinen Sohn zu holen. Ich schrubbe meine Hände, um den Dreck zu entfernen.
Christian
Werde geschüttelt. Was? Mein Vater.
»Christian, Christian.«
»Mmmm.«
»Wir müssen jetzt fahren.«
»Wieso denn?«
»Das Fest ist vorbei, wir müssen nach Hause.« Ich beginne aufzuwachen; rieche den Geruch von Zigarren in seinen Sachen und die Bierfahne aus seinem Mund.
»Warum legst du dich nicht einfach aufs Sofa?«, frage ich schlaftrunken.
»Nein, wir müssen heim. Ich will morgen früh nicht hier sein.«
»Was meinst du?«
»Ich will hier nicht aufwachen.«
»Du bist zu betrunken, um zu fahren«, sage ich und kneife die Augen zusammen, um meine Armbanduhr zu erkennen. Es ist kurz nach fünf, es wird bald hell.
»Ich kann fahren«, behauptet er. Ich schwinge die Beine über die Bettkante, stehe auf. Sehe ihn an. Seine Haut ist fahl – erschöpft.
»Okay«, sage ich und überlege, wo Marcus wohl sein könnte? Ich nehme seinen Schlüssel, und wir verlassen die Dienstbotenwohnung; ich schließe das Vorhängeschloss an Marcus’ Tür, bevor ich dem Alten um die Hausecke folge. Er geht ein wenig unsicher, wirkt aber sehr nüchtern.
»Sind alle schon schlafen gegangen?«, erkundige ich mich.
»Ich glaub schon«, sagt er und geht auf den Land Rover zu.
»Hast du Marcus gesehen? Ich muss ihm seinen Schlüssel zurückgeben.«
»Ich weiß es nicht«, sagt der Alte. Ich laufe zur Veranda, die Tür steht offen. Gehe ins Wohnzimmer, in dem Licht brennt, aber hier ist niemand. Gehe in den Flur und schaue ins Schlafzimmer, in dem Solja und Rebekka im Doppelbett schlafen. Katriina und Jonas sind nirgendwo zu sehen. Schaue ins Kinderzimmer. Niemand. Höre, wie der Land Rover angelassen wird, als ich in die entgegengesetzte Richtung gehe, zur Küche. Dort trinkt Marcus ein Carlsberg. Das Gesicht wie aus Ebenholz geschnitzt, kalte Augen.
»Hej«, sage ich. »Na?« Er antwortet nicht. Trinkt noch einen Schluck. Betrachtet mich. Ich reiche ihm seinen Schlüssel. »Gut, dass ich dich gefunden habe. Hier, dein Schlüssel.« Er nimmt ihn. »Was, äh … Ist irgendwas passiert?« Er zuckt die Achseln.
»Ich bin müde«, sagt er.
»Verdammt, wo sind eigentlich Jonas und Katriina?«
»Ich glaube …«, beginnt er, bricht dann aber ab und sieht mich lange an. »Ich glaube, er schläft in der Sauna«, fährt Marcus nach einer Weile fort. Draußen höre ich das Getriebe des Land Rovers kreischen – Vater ist zu besoffen.
»Ich muss jetzt los«, sage ich. Marcus nickt. »Bis bald«, sage ich. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, erwidert er. Ich laufe hinaus. Der Alte hat offenbar den Rückwärtsgang gefunden und setzt so abrupt zurück, dass das Heck des Land Rovers direkt am Haus zwei kleine Bäume fällt, bevor er bremsen kann.
»Vater!«, rufe ich und laufe auf den Wagen zu.
»Hoppla«, sagt er.
»Lass mich fahren. Ich kann mein Motorrad morgen holen.«
»Okay.« Er rutscht auf den Beifahrersitz. Ich setze mich ans Steuer. Der Wachmann öffnet das Tor, steht daneben und wartet. Wir fahren in das fahle Licht des Morgengrauens. Der Alte ist nicht sonderlich gesprächig.
»Tja, fünfzig Jahre«, sage ich. »Wie war das Fest?«
»Ausgezeichnet.« Mehr nicht.
»Ausgezeichnet«, wiederhole ich. Er dreht mir den Kopf zu und sieht mich an.
»Ich habe zu viel getrunken. Ich bin auf dem Sofa eingeschlafen.«
»Das kann passieren«, sage ich.
Marcus
KÜHLE HAUT
Es klopft an meiner Tür, früher Morgen. Vor der Tür höre ich Rebekkas Weinen und Soljas Stimme.
»Marcus, Marcus, irgendwas ist mit Mutter!«, schreit sie. Ich springe aus dem Bett und reiße die Tür auf.
»Was?«
»Vater ist in der Sauna ohnmächtig geworden«, sagt Solja – ganz blass und ängstlich, während Rebekka heult wie ein Krankenwagen. Ich nehme sie auf den Arm und laufe durch die Küchentür ins Haus. Issa steht an der Spüle und wäscht sich die Hände. Bereit für Pfannkuchen und frisch gepressten Juice. Im Wohnzimmer sitzt Katriina auf dem Sofa und schaukelt wie eine Verrückte, wobei sie sich mit geballten Fäusten auf die Schenkel schlägt.
»Was ist?«, sage ich mit fester Stimme.
»Jonas«, sagt sie, ohne mir in die Augen zu gucken.
»Wo ist er?« Sie antwortet nicht. »Ist er in der Sauna?« Sie antwortet nicht. Solja steht wie ein weißer Strich im Zimmer, Rebekka in meinen Armen ist hysterisch. Ich
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