Liberty: Roman
Geld. Jeden Tag warte ich und freue mich. Eines Tages ruft Solja mich auf die Veranda – sie hält eine braune Papiertüte in der Hand.
»Es ist von Tante Elna, für dich.«
»Danke«, sage ich und nehme die Tüte – sie ist zerknüllt, als wäre es Abfall. Ich mache sie auf und ziehe die Sachen heraus. Abgetragene Jeans und ausgelatschte Unterhosen, Arschhalter. Ich kenne dieses Zeug. Auch Solja wundert sich: »Aber das sind doch Vaters Sachen.« Katriina sagt im Wohnzimmer etwas auf Schwedisch, das ich fast perfekt verstehe:
»Gib ihm auch das schöne Päckchen.« Und Solja holt ein Päckchen mit glattem, buntem Papier. Darin liegen zwei moderne T-Shirts – kein Plunder, sondern die richtige Sorte. Aber wo sind die Hosen und das Geld?
Später kommt D’Souza mit seinem Sohn vorbei, der ein Päckchen Kleider von Jonas bekommt. Gute Jeans, kräftige neue Hosen. Ich glaube, Tante Elna hatte die Hosen mir zugedacht, aber Jonas hat mich angesehen: Ich passe zu seinen gebrauchten Sachen. Die neuen Sachen sind besser als Bestechung, und D’Souza kann in Afrika einiges in die Wege leiten.
»Marcus, Tante Elna ist am Telefon!«, ruft Katriina aus dem Haus. »Sie will dir Guten Tag sagen.« Ich laufe hinauf.
»Du hast mir die besten T-Shirts geschenkt. Sehr gute. Vielen Dank«, sage ich am Telefon. Dann fragt sie: »Und was ist mit den Hosen, passen sie?«
»Das weiß ich nicht«, sage ich – und achte sehr genau auf Jonas, der auf dem Sofa mithört.
»Hast du sie nicht bekommen?«
»Ja, es geht gut in der Schule«, spreche ich in den Hörer. Sie verstummt – nur ein sausendes Geräusch. Sie kann sich denken, dass ich nicht allein bin. Nun wird sie sehr diplomatisch, damit es keine Probleme gibt.
»Ah ja. Das ist allerdings merkwürdig. Vielleicht …« Sie denkt nach in Schweden. »Wahrscheinlich wirst du sie später bekommen.« Jonas sitzt auf dem Sofa und schaut mich an – in seinen Augen liegt die Frage, ob er mich erschlagen soll wie einen räudigen Hund.
»Ja, da bin ich sicher«, sage ich zu Tante Elna, während Jonas mich mit seinem bösen Blick ansieht, der sagt, dass ich nicht einmal eine kleine Axt bin: Hm, ich gebe dir alles – Essen und Obdach –, und trotzdem willst du mehr?
Ich habe Hunger und gehe in die Küche. Jonas kocht – zum ersten Mal erlebe ich ihn als Koch.
»Soll ich Ihnen helfen?«, frage ich, weil ich gerne lernen möchte, Pflanzen und Fleisch zu einer neuen schmackhaften Mahlzeit im schwedischen Stil zu kombinieren.
»Das ist eine Familienangelegenheit«, sagt er. »Nichts, wo jeder einfach kommen und teilnehmen kann.«
Ich gehe hinunter und warte ab. Wenn er gegessen hat, setzt er sich auf die Veranda, um zu verdauen. Dann schleiche ich mich hinein wie ein Dieb in der Dunkelheit und hole die Reste für meine eigene Ernährung. Marabustorch.
Christian
Mutter hat eine große erwachsene Frau angestellt, mama Nasira, die selbst vier Kinder im schulpflichtigen Alter hat. Annemette darf nicht länger im Garten herumstolpern. Mutter ist ständig in ihrer Nähe. Ich denke, ich sollte etwas sagen.
»Ich freue mich darauf, wenn sie ein bisschen größer ist.«
»Wer?« Mutter blickt auf.
»Annemette.«
»Ach so«, sagt Mutter und betrachtet Annemette. »Und was ist, wenn sie ein bisschen größer ist?«
»Na ja, dann kann ich ihr beibringen, zu fluchen und Fußball zu spielen.«
Der letzte Schultag. Elektrizität liegt in der Luft. Die Internatsschüler freuen sich darauf, nach Hause zu kommen. Panos kommt in der großen Pause zu mir.
»Kommst du mit zum Fluss?«, fragt er leise.
»Na, klar«, sage ich. Wir gehen über das Spielfeld, zwischen die Bäume, damit niemand sieht, wie wir das Schulgelände verlassen. Laufen die Böschung hinunter.
»Jungs!«, ruft eine Stimme.
»Samantha?«, fragt Panos.
»Hier rüber!«, ruft sie und zeigt sich mit einer Zigarette in der Hand hinter einem Gebüsch. Wir gehen hinüber und setzen uns in die Hocke.
»Kommen deine Eltern und holen dich ab?«, will Panos wissen.
»Mein Vater ist auf Geschäftsreise, aber meine Mutter kommt«, sagt Samantha. »Und was ist mit euch?«
»Mit dem Bus nach Iringa«, antwortet Panos.
»In die Langeweile der TPC «, sage ich. »Was machst du in den Ferien?«
»Gin Tonic trinken, Zigaretten rauchen und tauchen.«
»Klingt doch ziemlich gut.« Samantha sieht mich an und kneift die Augen zusammen, während sie lächelt.
»Du kannst ja nach Tanga kommen und mit mir tauchen. Tieftauchen.«
»Hört
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