Liberty: Roman
sagt Benjamin aus seinem Zimmer.
»Was ist im Haus passiert?«
»Was meinst du?«, fragt er zurück – will nicht hineingezogen werden.
»Ich meine, gab es Gäste heute?«
»Am Vormittag kam ein Mann in einem Land Rover. Der, der Golf spielt.« Und meine Mutter vögelt, denke ich.
»Ist meine Mutter mit ihm gefahren?«
»Das weiß ich nicht«, sagt er. »Ich habe jemanden besucht.« Das stimmt nicht. Er würde das Haus nicht verlassen, wenn sonst niemand daheim ist.
Ich setze mich auf die Veranda und rauche in der Dämmerung eine Zigarette. Irene taucht in meinen Turnschuhen in der Einfahrt auf – sie hat sie geweißt, sie sehen wie neu aus.
»Hübsche Schuhe«, sage ich zu ihr, als sie an der Veranda vorbeigeht.
»Ja«, antwortet sie mit einem kleinen Lächeln.
»Hübsche Schuhe für ein hübsches Mädchen.«
» Tsk .«
Ich gehe ins Haus und erledige die Hausaufgaben. Esse Butterbrote. Als ich ins Bett gehe, ist noch immer niemand gekommen.
Am Morgen steht das Haus leer – ihre Betten sind nicht benutzt. Soll ich mir Sorgen machen? Irene kocht Kaffee für mich.
»Danke«, sage ich. Wir teilen uns eine Zigarette. Sie fragt nicht, sie wird es sich denken können: Das Haus befindet sich in Auflösung. Wir sitzen uns an dem kleinen Tisch in der Küche gegenüber, trinken Kaffee, rauchen Zigaretten – die neuen Herrschaften im Haus. Irene schaut auf die billige Armbanduhr, die sie von meiner Mutter geschenkt bekommen hat.
»Du musst jetzt gehen«, sagt sie.
»Ja.« Ich gehe zum Kreisel am Eingang des Wohngebiets der Angestellten und springe in den Bus, der uns zur Schule bringt.
Das Auto der Alten steht vor der Tür, als ich am Nachmittag nach Hause komme. Vater sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa und trinkt Whisky.
»Deine Mutter ist verreist«, sagt er – seine Stimme klingt verwaschen.
»Ah ja«, erwidere ich. Frage nicht nach.
»Simba Farm«, teilt er mit.
»Ihr habt sie doch nicht mehr alle«, sage ich. Er kommentiert es nicht. Ich gehe wieder hinaus. Zur Kantine der Arbeiter. Rogarth taucht auf – normalerweise kommt er nicht hierher.
»Christian«, sagt er.
»Ja?«
»Was da passiert ist – das ist schon seltsam.« Er schüttelt den Kopf.
»Was da passiert ist?«
»Ja, gestern«, sagt Rogarth.
»Was denn, gestern?«
»Bei eurem Haus.«
»Was ist an unserem Haus passiert?«
»Weißt du es denn nicht?«
»Nachdem ich aus der Schule kam, ist nichts passiert. Ich war allein zu Hause.«
»Dieser Mann …«, beginnt Rogarth und bricht ab.
»Der Mann?«
»Ja, der von der Simba Farm.«
»Léon Wauters.«
»Ja. Er ist gekommen und hat deine Mutter abgeholt.«
»Okay«, sage ich und nicke. »Ich habe durchaus bemerkt, dass sie nicht mehr da ist.«
Vater hat sich krankgemeldet. Er ist ständig betrunken, versucht es aber vor mir zu verbergen. Ich bin nicht allein mit Irene im Haus, und ich kann auch nicht zu ihr in die Dienstbotenwohnung, denn der alte Gärtner wohnt im Zimmer neben ihr. Wenn ich versuche, sie in der Küche zu umarmen, gibt sie mir einen Klaps.
» Bwana ist hier!«, zischt sie wütend. Ich onaniere ständig und denke dabei jedes Mal an sie. Und an Nanna. Und Shakila. Und Samantha.
Das Telefon klingelt. Ich nehme den Hörer ab.
»Ja?«
»Ich bin es, Christian«, sagt Mutter am anderen Ende der Leitung.
» Tsk .« Ich lege auf.
»Wer war das?«, erkundigt sich Vater.
»Falsch verbunden«, erkläre ich.
Die Blicke in der Schule. Ständig. Es gab sie auch, bevor ich herausfand, dass … Die Leute haben es lange gewusst, aber niemand hat mir etwas gesagt. Vielleicht haben sie geglaubt, ich wüsste Bescheid und würde es bloß ignorieren. Jetzt weiß ich es und muss so tun, als würde es mir nichts ausmachen. Mir ist übel. Sie kann nicht so blöd gewesen sein und nicht gewusst haben, dass es entdeckt werden würde. Dass die Leute reden. Weißer Mann und weiße Frau gehen tagsüber in ein billiges Guesthouse, ohne Gepäck – das schreit zum Himmel.
Samantha kommt auf dem Gang auf mich zu, ich lehne an der Wand. Sie kneift die Augen zusammen und sieht mich an.
»Hältst du’s aus?«
»Was?«
»Den Druck«, sagt sie. Ich verziehe mein Gesicht und schüttele den Kopf, bohre die Hände tiefer in die Taschen. Sie lehnt sich neben mir an die Wand. »Eltern«, sagt sie. »Deckel auf und draufgeschissen.«
»Ja«, sage ich.
Ich sitze auf der Mädchentoilette und rauche mitten in der Gemeinschaftskundestunde eine Zigarette. Hier suchen sie nie – das einzige Risiko
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