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Liberty: Roman

Liberty: Roman

Titel: Liberty: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbob
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das Gespräch nicht mit anhören zu müssen.
    »Christian!«, ruft er. »Deine Mutter möchte gern mit dir reden.«
    »Aber ich nicht mir ihr!«, rufe ich zurück.
    »Komm schon!«
    »Nein!« Ich höre, dass sie länger miteinander sprechen, dann wird es ganz still.
    Ich wache auf. Ich fahre heute zum West-Kilimandscharo. Ich will meine Mutter treffen. Ihr etwas sagen. Was denn? Draußen ist es grau – bald kommt das Licht. Ich stehe auf, ziehe mich an, trete vor die Tür und rauche in der kühlen Morgenluft.
    Auf der Rombo Avenue sage ich dem Fahrer, er soll anhalten. Er fragt, wieso, aber er tut es.
    Ich laufe durch die Maisstoppel auf dem freien Feld hinter Marcus’ Dienstbotenwohnung und klettere durch den Zaun. Klopfe an Marcus’ Tür. Er öffnet.
    »Wir brechen jetzt auf«, teilt er Katriina mit. Sie bringt die Kinder in die Schule. Jonas schläft. Marcus gibt mir Soljas Schwimmbrille. »Damit du keinen Staub in die Augen bekommst. Die Piste nördlich von Sanya Juu ist sehr trocken.«
    Wir fahren. Kühler Wind in den Morgenstunden. In Sanya Juu halten wir und gehen in ein Café, trinken Tee mit heißer Milch und Rohrzucker. Pulen unsere hart gekochten Eier. Ich habe Marcus erzählt, dass meine Mutter dort oben ist. Er wusste es – er hat es bestimmt sehr viel länger gewusst als ich. Ich konzentriere mich auf die Eierschalen, die von meinen Fingerspitzen auf den Tisch fallen, dessen Kunststoffoberfläche von Millionen mikroskopischer Risse matt ist.
    »Marcus«, frage ich ihn. »Wieso redet niemand über meine Mutter und diesen Farmer?«
    »Mit wem sollten sie denn reden?«
    »Mit mir.«
    »Mit dir kann man nicht darüber reden.«
    »Warum nicht?«
    »Das ist so, als würde man dich schlagen.«
    Ich kommentiere es nicht. Wir fahren weiter. Marcus stoppt bei der Abzweigung nach Tilotanga – ein paar hundert Meter weiter ist das Tor der Simba Farm.
    »Ich warte hier«, sagt er.
    »Okay.« Er muss seine Interessen wahren. Ich steige ab und schiebe die Schwimmbrille in die Stirn, wische mir den Staub aus dem Gesicht, spucke rotbraun – der Mund schmeckt nach Lehm. Gehe die wenigen hundert Meter die Straße entlang, durch das Tor. Nicke dem Wachmann zu und überquere den von Scheunen, Werkstätten und Garagen umgebenen Hofplatz, auf dem viele europäische Landmaschinen stehen. Ich gehe durch eine Öffnung der Hecke, die das eigentliche Wohnhaus umgibt, zur Hintertür, die in einen großen Küchengarten führt.
    » Mama yoko wapi ?«, frage ich den Koch durch das offene Küchenfenster. Er sagt, sie sei im Garten. Ich umrunde das Haus bis zum Garten, sehe sie aber nicht sofort. Auf der Terrasse steht ein Tisch mit zwei Gläsern und einem Tonkrug. Ich gehe die Stufen hinauf. Über dem Krug liegt ein rundes Stück feinmaschigen Tülls mit Perlenstickerei an den Kanten, das die Kanne abdichtet, damit keine Insekten hineinfliegen können. Mutters Dunhill, ihr goldenes Feuerzeug und die Sonnenbrille liegen auf dem Tisch. Ich schaue über den Garten. Sie hockt mit dem Rücken zu mir an einem Blumenbeet; Khakishorts, ein hellblaues, vor dem Bauch verknotetes Herrenhemd, ein großer Strohhut mit einem weißen Band. Ich gehe zu ihr. Meine Schritte sind lautlos auf dem gepflegten Rasen. Ich bleibe stehen, nehme meine Zigarettenschachtel aus der Tasche – und kann mich nicht mehr erinnern, was ich sagen wollte. Die Packung knistert ein wenig, als ich eine Zigarette herausschüttele. Ich spüre, dass sie sich bei dem Geräusch umdreht, wende aber nicht den Blick von der Schachtel.
    »Christian?«, sagt sie und starrt auf meinen Kopf. Mir fällt die Schwimmbrille auf der Stirn ein – ich lasse sie dort sitzen, hole ein Streichholz heraus, streiche es an, ziehe. »Was machst du denn da?«, fragt sie – nun mit einem verwunderten, ein wenig verwirrten Ton in der Stimme – und einem Anflug von Zurechtweisung.
    »Rauchen«, sage ich.
    »Aber …« Sie hält inne, steht auf. »Du bist ja ganz staubig«, sagt sie, tritt einen Schritt näher und hebt ihren Arm an mein Gesicht. Ich trete einen Schritt zurück.
    »Du kommst nie wieder in die Schule«, sage ich. Mutter bleibt stehen.
    »Wieso nicht?«
    »Alle wissen es.«
    »Aber ich …«
    »Meine Freunde, meine Lehrer – alle. Und sie haben es seit Langem gewusst.«
    »Das … das tut mir leid.«
    »Wer bist du?«, frage ich.
    »Was meinst du?«
    »Bist du Tania Blixen?« Sie atmet tief ein und seufzt. Dann atmet sie hektisch und hält den Atem für den Bruchteil einer Sekunde

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