Licht
dich.«
»Anna«, sagte er schnell, »du brauchst Hilfe. Du trinkst. Du bist magersüchtig. Die meiste Zeit bist du krank und an guten Tagen ist dir der Gehsteig noch zu beschwerlich. Du bist immer in Panik. Du lebst in einer Welt, die wenig mit der unseren zu tun hat.«
»Du Mistkerl.«
»Was also kannst du für mich tun?«
»Mit dir gehen«, sagte sie. »Ohne mich kommst du nicht aus der Tür.«
Sie versuchte ihn abzudrängen, wurde handgreiflich.
»Jesus, Anna.«
Er bekam die Tür auf und riss sich los. Auf der Treppe holte sie ihn ein und bekam den Kragen seiner Jacke zu fassen und ließ auch dann nicht los, als Kearney sie mit die Treppe hinabzerrte.
»Ich hasse dich«, sagte sie.
Er blieb stehen und starrte sie an. Sie waren beide außer Atem.
»Und warum lässt du mich dann nicht gehen?«
Sie schlug ihm ins Gesicht.
»Weil du keine Ahnung hast«, schrie sie. »Weil dir sonst niemand helfen kann. Du bist zu nichts zu gebrauchen, du bist kaputt. Bist du wirklich so blöd, dass du das nicht siehst. Bist du so blöd?«
Plötzlich ließ sie ihn fahren und plumpste auf die Stufe. Sie blickte flüchtig zu ihm auf und dann wieder beiseite. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Ihr Rock war hochgerutscht, und Kearney war als habe er nie zuvor ihre langen, dünnen Schenkel gesehen. Als sie seinen Blick bemerkte, blinzelte sie ihre Tränen weg und streifte den Rock noch weiter nach oben. »Christus«, flüsterte Kearney. Er drehte sie um und drängte sie in die kalten Steinstufen, während sie sich fest in seine Hand drückte, immerzu schniefend und weinend.
Als er sich nach zehn Minuten losriss und sich auf den Weg zur U-Bahn-Station machte, lief sie einfach hinter ihm her.
Er war ihr in Cambridge begegnet, vielleicht zwei Jahre, nachdem er die Würfel gestohlen hatte. Er war auf der Suche nach einem Opfer, ließ sich aber von Anna mit aufs Zimmer nehmen. Dort saß er auf dem Bettrand, derweil sie eine Flasche Wein entkorkte, ihm Fotos von ihrer jüngsten Berührung mit Magersucht zeigte und nur mit einer langen Strickjacke bekleidet nervös umherging. Sie erklärte ihm: »Ich mag dich, aber ich will keinen Sex. Einverstanden?« Kearney – verstrickt in seine Stechginsterlandfantasien und angeödet von den Ausflüchten, die er in solchen Situationen gewöhnlich machen musste – hörte sich nicht selten selbst so reden und war einverstanden. Immer wenn sich die Strickjacke auftat, schenkte er Anna ein vages Lächeln und sah höflich beiseite. Das schien sie nur nervöser zu machen. »Würdest du einfach nur neben mir liegen und schlafen?«, bat sie, als er anstandshalber gehen wollte. »Ich mag dich wirklich, aber ich will keinen Sex.« Eine Stunde lang lag Kearney ausgestreckt neben ihr, dann, so um drei in der Früh, suchte er das Bad auf und onanierte heftig ins Waschbecken. »Bist du okay?«, rief sie mit dumpfer, verschlafener Stimme.
»Du bist so süß«, sagte sie, als er zurückkam. »Nimm mich in die Arme.«
Er starrte sie im Dunkeln an. »Hast du auch geschlafen?«
»Bitte.«
Sie wälzte sich gegen ihn. Sowie er sie anfasste, stöhnte sie, rollte sich frei, hob den Hintern und grub das Gesicht ins Kissen, während er sie mit einer Hand stimulierte und sich mit der anderen. Erst wollte sie sich beteiligen, doch er ließ sie nicht. Er hielt sie in der Schwebe. Ein ums andere Mal winselte sie ins Kissen und holte tief und schluchzend Luft. Er sah ihr dabei zu, bis er vom Zusehen so hart wurde, dass es ihm wehtat. Dann erlöste er sie mit zwei, drei winzigen, kreisenden Bewegungen der Fingerkuppe und besprengte ihren Rücken. Näher schien ihm Stechginsterland nie gewesen zu sein. Noch nie hatte er sich so autark gefühlt. Sie fühlte sich vermutlich autark, indem sie so etwas einfädelte.
Mit dem Gesicht im Kissen nuschelte sie: »Ich wollte das wirklich erst in dem Moment, als ich es getan hab.«
»Glaubst du wirklich?«, sagte Kearney.
»Du hast mich klebrig gemacht.«
»Bleib so, bleib so«, sagte er, »nicht bewegen« und holte ein Papiertuch, um ihren Rücken trocken zu wischen.
Danach folgte er ihr auf Schritt und Tritt. Ihre raffinierte Art sich zu kleiden, ihre spontanen Lachsalven, ihr verstohlener Narzissmus, das alles zog ihn an. Mit neunzehn war ihre Zerbrechlichkeit nicht mehr zu übersehen. Sie hatte ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Vater – ein Akademiker im Norden –, der gewollt hatte, dass sie eine Universität besuchte, die nicht so weit von zu Hause entfernt war.
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