Licht (Gone) (German Edition)
der Maschine und kehrte damit zurück an Deck.
Merwin dankte ihr, nahm seine Tasse und trank. Derweil hielt er das Boot mithilfe des Steuerrads und des Motors an Ort und Stelle.
»Ich bin vierundsiebzig Jahre alt«, erzählte er ihr. »Ich war in Vietnam, das ist lange her und war noch vor Ihrer Zeit. Der Krieg war schlimm.«
»Das sind wohl alle Kriege.«
Er lachte leise. »Ja, das stimmt. Jedenfalls gab es da diesen Jungen. Er war fast noch ein Kind. Man hat ihn zum Korporal befördert, und das auch nur, weil der eigentliche Korporal totwar. Alles in allem war er ein netter Kerl. Doch eines Tages, nachdem er seit drei Nächten nicht geschlafen hatte und zwei seiner besten Kumpel getötet worden waren …« Merwin hielt inne, holte tief Luft und wandte den Blick ab.
Sie wartete.
»An dem Tag geriet ein Kämpfer der nordvietnamesischen Volksarmee in Gefangenschaft. Er war verwundet und konnte mit dem Rückzug seiner Genossen nicht Schritt halten. Der Korporal ging zu ihm, um ihn zu verhören. Der Vietnamese spuckte dem Korporal ins Gesicht. Um es kurz zu machen: Der Korporal tötete ihn mit einem Genickschuss.«
Connie sah Merwin wortlos an.
»Einen wehrlosen Gefangenen zu erschießen, ist ein Fall für das Kriegsgericht. Wäre es jedenfalls gewesen, wenn der Mord angezeigt worden wäre.«
»Sie haben es nicht gemeldet?«
Merwin zuckte mit den Schultern. »Nein, niemand zeigte mich an. Wir waren alle hungrig und müde, wir hatten Schiss und eine Mordswut im Bauch. Der Älteste von uns war gerade mal zwanzig.«
»Sam würde niemals …«
»Ach, Ms Temple, es gibt natürlich ein paar Heilige. Ich habe sogar eine von ihnen geheiratet. Aber viele sind es nicht. Ich hoffe, dass mein Enkel Drake die Stärke gefunden hat, um …« Merwin verstummte kurz. »Er war schon immer ein schwieriger Junge. Und erst recht, nachdem mein Sohn gestorben war. Der Stiefvater, Drakes Stiefvater …« Er seufzte. »Ach, wir wissen es einfach nicht.«
»Und wenn wir es eines Tages erfahren?«, fragte sie leise.
»Vermutlich verhalten wir uns dann wie lauter selbstgerechte Heuchler. Die Alternative hieße nämlich, in den Spiegel zu schauen und uns einzugestehen, dass jeder von uns zu abscheulichen Taten fähig ist.«
Auf der Rückfahrt in den Hafen schwiegen sie.
Connie schüttelte ihm zum Abschied die Hand. »Danke, dass Sie mich mitgenommen und mit mir gesprochen haben. Es muss sehr schwer für Sie sein, diese Geschichte ein Leben lang mit sich rumzutragen.«
Als der alte Mann lächelte, blitzten seine Augen. »Es ist nicht so, wie Sie glauben. Wirklich schwer zu ertragen ist das Wissen, wie sehr ich die Rache genossen habe. Und dass ich es wieder tun würde. Ich würde wieder abdrücken.«
Sie ließ seine Hand los und starrte ihm betroffen in die auf einmal kalt und grausam wirkenden Augen.
Achtzehn
27 Stunden, 13 Minuten
Gaia kam wieder schneller voran, fast schon mit normaler Gehgeschwindigkeit. Das Bein heilte. Es wäre längst ganz verheilt, wenn sie sich eine Zeit lang hinsetzen und sich darauf konzentrieren könnte. Aber die beiden Mutanten waren ihr auf den Fersen, außerdem musste sie schon allein wegen des Feuers in Bewegung bleiben. Es hatte sich bis an den Waldrand ausgebreitet und wartete nur darauf, auf das Gestrüpp in der Wüste überzuspringen.
Wenigstens waren die Schmerzen nicht mehr so schlimm. Außerdem half ihr die Musik, sich abzulenken. Sie hörte einen Song, in dem die Worte When All the Lights Go Out vorkamen. In dem Lied wurde viel geschrien, was Gaia super fand.
Sie lief eine Sandstraße entlang und blickte immer wieder in alle Richtungen. Da sie einen Vorsprung hatte und das Gelände zu allen Seiten hin offen war, würde sie Sam und Caine rechtzeitig bemerken. Was sie im Moment viel beunruhigender fand, war das Wissen, vom kleinen Pete beobachtet zu werden.Sie spürte seinen Blick. Nemesis verblasste zwar immer schneller, war aber noch nicht tot.
Ein Körper war ein zweifelhafter Segen – er hielt sie am Leben, er bündelte ihre Macht und er ermöglichte ihr, sich fortzubewegen. Er war aber auch anfällig für Schmerzen und er konnte getötet werden.
Was würde aus dem Gaiaphage werden, wenn dieser Körper starb?
Die Wahrheit war: Sie wusste es nicht. Sie konnte wie der kleine Pete enden, als körperloser Geist. Sie konnte aber ebenso gut sterben. Aufhören zu existieren.
Und dieser ständige Hunger! Er saß wie eine nörgelnde Stimme in ihrem Kopf, die in einem fort sagte:
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