Licht über den Klippen
pfiff. Sie hob den Kopf und blieb, wo sie war.
Daniel lachte und pfiff noch einmal.
Die Stute rührte sich nicht von der Stelle, doch von der Straße
hörte ich das Klappern von Hufen. Ich drehte mich um, und Daniel trat einen
Schritt näher zu mir. Obwohl ich nicht sah, wie sich seine Hand zum Gürtel
bewegte, wusste ich, dass er den Dolch herauszog.
Wir hatten keine Zeit, uns zu verstecken. Die Pferde erreichten
bereits die kleine Brücke und überquerten sie nacheinander. Jack saß auf dem
vorderen.
Mir fiel auf, dass seine Hände seltsam starr auf dem Nacken des
Pferdes lagen. Kurz darauf sah ich das Seil, mit dem sie zusammengebunden
waren, und seinen warnenden Blick in unsere Richtung.
Hinter ihm ritt mit zufriedener Miene der Constable, begleitet von
einem kleinen Mann, den ich nicht kannte, sowie einem halben Dutzend anderer
Leute, die keinen allzu glücklichen Eindruck machten, als sie Daniel am
Straßenrand entdeckten.
Daniel stellte sich vor mich, so dicht, dass ich die Klinge des
Dolches in seiner Faust, halb verborgen unter dem Ärmel seiner Jacke, erkennen
konnte.
Dann trat er auf die Straße und ergriff mit der freien Hand die
Zügel des Pferdes, auf dem sein Bruder saß. »Jack«, begrüßte er seinen Bruder
in einem Tonfall, als wäre er betrunken nach Hause gekommen. »Was hat das zu
bedeuten?«
ZWEIUNDZWANZIG
D ie Antwort gab nicht
Jack Butler, sondern der Constable, der sein Pferd gleich hinter Daniel
angehalten hatte. »Es handelt sich um eine Festnahme. Und es wird noch eine
geben, wenn Sie die Zügel nicht loslassen.«
Daniel ignorierte seine Drohung. »Was wird meinem Bruder
vorgeworfen?«
»Dieser Händler hier« – der Constable nickte in Richtung des
rundlichen, kleinen Mannes – »wurde vor einigen Tagen auf der Straße ausgeraubt
und hat dabei eine Börse voll Silber sowie einen Hammelbraten an Ihren Bruder
verloren.«
Der Hammelbraten. Ich erinnerte mich an Jacks fröhliches Prahlen,
wie er ihn gestohlen hatte. Mir sank der Mut, als ich die entrüstete,
anklagende Miene des Händlers sah. Er war ein Mann mittleren Alters mit runden
Wangen, und seine Weste spannte sich über seinem Bauch.
Jack hielt den Blick gesenkt. Warum gab er seinem Pferd nicht
einfach die Sporen und floh? Draufgängerisch genug wäre er gewesen.
Der Constable genoss das Gefühl, seine Feinde in die Enge getrieben
zu haben, sichtlich. Er lenkte das Pferd so nahe an Daniel heran, dass seine
Stiefelspitze fast dessen Schulter berührte, und fragte ihn gespielt mitleidig:
»Werden Sie zur Hinrichtung Ihres Bruders kommen?«
Ich wagte kaum zu atmen, während Daniel den Blick des Constable mit
tödlicher Ruhe erwiderte.
Erst nach einer Weile löste Daniel die Spannung.
»Wo ist der Haftbefehl?«, erkundigte er sich.
Plötzlich verschob sich das Kräfteverhältnis, das merkte ich am
kurzen Zögern des Constable und an den Gesichtern seiner Begleiter.
»Sie haben doch sicher einen Haftbefehl?«
»Wir sind gerade unterwegs, um einen beim Friedensrichter zu
erwirken«, versicherte der Constable. »Wenn Sie nun freundlicherweise
beiseitetreten würden.«
Daniel wandte sich an den Händler. »Sagen Sie, Sir, wo hat dieser
höchst bedauerliche Überfall sich denn ereignet, und wann?«
Der Händler nannte Ort und Zeit und fügte hinzu: »Es war früh am
Morgen, die Sonne kaum aufgegangen; ich war die ganze Nacht in Gesellschaft
dieses Mannes gereist.« Er deutete auf Jack. »Er hatte mir angeboten, mich ein
Stück zu begleiten, weil er sich in der Gegend auskenne und um die Gefahren
dieser Straßen wisse, und so ließ ich ihn neben meinem Fuhrwerk her reiten. Als
ich über Müdigkeit klagte, versicherte er mir, ich könne beruhigt schlafen, wir
hätten den gefährlichsten Teil der Strecke hinter uns, und ich benötige seine
Hilfe nicht mehr.«
Daniel nickte. »Und so haben Sie geschlafen?«
»Ja, Sir. Als ich aufwachte, musste ich feststellen, dass er mein
Vertrauen missbraucht und sich mit einem schönen Hammelbraten und meiner Börse
davongemacht hatte, Sir.«
»Ein wahrhaft dreister Diebstahl«, pflichtete Daniel ihm bei. »Umso
dreister, als er am Morgen geschah, wenn der Mann Sie doch in der Nacht viel
leichter und ohne Angst vor Zeugen hätte überwältigen können. Wie hat er das
angestellt?«
Der Händler runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
»Als Sie aufgewacht sind und gemerkt haben, dass er Ihre Sachen
stiehlt, haben Sie doch sicher alles in Ihrer Macht Stehende getan, um ihn
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