Licht und Dunkelheit
Er ließ sich erschöpft in sein Kissen zurückfallen.
»Ich dachte, Ihr vertraut ihr, Lord Otis.«
»Dennoch bin ich vorsichtig.«
»Könntet Ihr das Messer von meinem Hals nehmen?«, mischte sich Levarda ein.
»Ja, wenn Ihr mir versprecht, Euch dem hohen Lord sachte zu nähern, und wenn Ihr mir sagt, was Ihr zu tun gedenkt.«
»Ich möchte aus meiner Tasche ein wenig Pfefferminzöl holen. Wenn mir der Diener ein Glas Wasser bringt, tropfe ich es hinein. Der hohe Lord kann mit dem Wasser gurgeln und es ausspucken – wohlgemerkt: ausspucken – bitte nicht schlucken. Zum einen wird es den unangenehmen Geschmack aus seinem Mund entfernen, zum anderen wird es beruhigend auf seinen Magen einwirken.«
Lord Otis ließ sie los.
Der Diener brachte ein Glas Wasser, und Levarda tropfte das Öl hinein. Gregorius gurgelte gehorsam und spuckte das Wasser in die Schüssel, die ihm der andere Diener hinhielt. Als er fertig war, versank er in seinen Kissen und schloss die Augen. Nach und nach kehrte Farbe in sein Gesicht zurück. Er öffnete die Augen und sah Levarda an.
»Erstaunlich, mir geht es tatsächlich besser.«
»Das freut mich. Dennoch möchte ich Euch gern untersuchen, sofern Lord Otis nichts dagegen hat.«
»Fahrt fort«, ordnete dieser an.
Sie schaute auf Gregorius, der ein Nachtgewand trug. Da sie sich nicht mit den nächtlichen Kleidungsgewohnheiten der Männer in diesem Land auskannte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu erkundigen.
»Verzeiht mir die ungehörige Frage, hoher Lord«, begann Levarda vorsichtig mit der Ansprache des heiklen Themas, »wenn ich Euch untersuche, muss ich meine Hand etwa hier«, sie legte eine Hand unter ihre eigenen Rippen, »hinlegen.«
Auffordernd sah sie den hohen Lord an, der ihre Andeutung nicht begriff. Auch vonseiten der anwesenden Offiziere und Diener kam keine Hilfe, lediglich neugierige Blicke, die ihren Ausführungen folgten. Sie entschloss sich, die Frage direkter zu formulieren: »Tragt Ihr eine Hose unter Eurem Nachtgewand?«
Es trat Stille ein – dann brüllten die Männer los. Levarda schoss die Röte ins Gesicht.
»Verzeiht, hoher Lord, ich möchte nicht, dass Ihr falsche Schlüsse aus meinen Worten zieht. Ich möchte Euch lediglich untersuchen.«
Lord Otis wischte sich die Lachtränen von seinem Gesicht. »Keine Angst, Lady Levarda, niemand wird falsche Schlüsse ziehen, schließlich habe ich Euch selbst hergebeten. Mir war nur nicht klar, dass Ihr –«, er brach ab und schnappte nach Luft. »Geht es nicht durch den Stoff?«
Sie schüttelte den Kopf, wagte aber nichts mehr zu sagen.
Lord Otis nickte Sendad zu, der Levarda an den Schultern packte und sie aus der Tür bugsierte.
»Was war an meiner Frage so belustigend?«, frage sie Sendad ärgerlich, der sich erneut ein Lachen verkniff.
»Alles. Die Art, wie Ihr gefragt habt, wie Ihr ganz unbekümmert auf dem Bett gesessen habt, Eure Hand –«, er brach ab.
»Sie war unterhalb meiner Brust und weit über jeder anderen verfänglichen Position.«
»Und zuletzt die Frage, ob er Hosen anhabe. Als ob man unter einem Nachtgewand Hosen tragen würde.« Sendad schüttelte den Kopf, ein belustigtes Funkeln in den Augen. Dann wurde sein Blick ernst. »Ihr solltet darauf achten, dass er Eure Untersuchung nicht missversteht.«
»Sendad, Lady Levarda kann wieder hereinkommen«, wurden sie unterbrochen.
Als sie erneut ans Bett trat, lag der hohe Lord dort mit nacktem Oberkörper, nur mit einer Hose bekleidet. In seinen Augen spiegelten sich Neugierde und gespannte Erwartung.
Sie bemühte sich, ihre Unsicherheit, ausgelöst von Sendads Worten, zu verbergen. Noch nie war ihr der Gedanke gekommen, dass ihre Berührungen, wenn sie jemanden untersuchte, falsch aufgefasst werden könnten.
»Lady Levarda, Ihr wisst, dass ich Euch nicht erlauben kann, den hohen Lord allein zu untersuchen«, versicherte sich Lord Otis.
»Ich hatte nicht vor, Euch rauszuschicken«, unterbrach sie ihn rasch.
Er stutzte, fing sich. In seinen Augen blitzte etwas auf. »So meinte ich das nicht. Ich möchte, dass Ihr mich mitnehmt«, konkretisierte er.
Es verunsicherte sie, wie er vor dem hohen Lord so einfach über ihre Fähigkeiten sprach. Er schien ihre Gedanken zu lesen.
»Ihr vergesst, dass Bihrok ein Offizier der Garde des hohen Lords war. Wir alle in diesem Raum wissen, dass es Dinge gibt, die wir mit unserem Willen beeinflussen können.«
Levarda warf einen kurzen Blick auf den hohen Lord, dann nickte sie.
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