Licht und Dunkelheit
unter diesem Gesichtspunkt hatte sie ihn noch nie betrachtet.
»Denkt Ihr, dass Lord Otis Hamada fragen wird?«, flüsterte ihr Serafina zu. Es erstaunte sie nicht, dass Serafina ihre Nachdenklichkeit wahrnahm. Sie besaß eine empathische Ader.
»Ich habe keine Ahnung, aber es muss furchtbar anstrengend sein, ständig jedes Wort und jede Geste eines Mannes abzuwägen auf ein Zeichen seiner Zuneigung hin. Vielleicht sollte sie um eine Audienz bei ihm bitten und ihn direkt fragen. Dann hätte das Spekulieren endlich ein Ende.«
»Das habe ich gehört, Lady Levarda«, sagte Lady Hamada spitz.
»So war es gedacht, Lady Hamada. Bitte tut uns allen den Gefallen und nehmt Euch meinen Vorschlag zu Herzen. Vielleicht finden sich dann interessantere Gesprächsthemen in diesen Räumlichkeiten.«
»Keine Sorge, Lady Levarda, Ihr müsst meine Gegenwart nicht mehr lange ertragen.«
»Also neigt Ihr dazu, die Worte von Lord Otis als Antrag zu verstehen?«
»Das nicht. – Aber Ihr werdet bald selbst verheiratet sein.«
Levarda stach sich mit der Nadel in den Finger und steckte ihn in den Mund. Ein ungutes Gefühl machte sich mit einem Kribbeln in ihrem Nacken bemerkbar.
»Wie meint Ihr das?«
»Ihr seid eine Hofdame, und auch wenn Ihr es offensichtlich nicht anstrebt, einen Mann für Euch zu erobern, habe ich gehört, dass Euch jemand einen Antrag stellen wird. Es ist kaum zu glauben, doch angesichts Eurer verwandtschaftlichen Beziehung zum hohen Lord …«, Lady Hamada sah sich im Raum nach Lady Smira um, die ebenfalls gebannt an ihren Lippen hing, »… scheinen Eure Mängel in diesem Fall keine Rolle zu spielen.«
Lady Smira schüttelte den Kopf. »Ihr müsst da etwas falsch verstanden haben. Gregorius versicherte mir noch gestern, dass Lady Levarda an meiner Seite bleiben wird. Er wird meinen Wunsch respektieren.«
»Vielleicht habt Ihr, Lady Smira, mit Verlaub, ein falsches Bild von dem Zweck einer Hofdame. Sie kommt an den Hof, damit der hohe Lord eine passende Verbindung für sie arrangieren kann. Da über Lady Levarda nicht mehr das Todesurteil schwebt, wird sie genauso verheiratet werden wie jede andere von uns. Außerdem stellt sie politisch eine interessante Wahl dar.«
»Aber Lady Eluis ist nicht verheiratet und ebenfalls eine Hofdame«, bemerkte Levarda.
»Ja, nachdem drei Heiratskandidaten nach ihrem Antrag einen frühzeitigen Tod fanden, wagte niemand mehr, einen weiteren Antrag zu stellen.«
Ihre Worte lösten bei Levarda ein unbehagliches Gefühl aus. Sie sah Lady Eluis, wie sie vor dem Bild von Bihrok stand und es anhimmelte. Hatte Larisan etwas damit zu tun?
»Aber freut Euch nicht zu früh, Lady Levarda, dass es einen Ausweg geben könnte«, setzte Lady Hamada boshaft dazu, »der Mann, der den Antrag stellt, wird nicht so leicht zu töten sein.«
Serafina schwieg, schielte kurz zu ihr, bevor sie sich konzentriert über die Arbeit beugte.
In Levarda kroch eine Befürchtung hoch.
»Wisst Ihr, von wem Lady Hamada spricht?«
Serafina sah nicht auf und war kaum zu hören. »Prinz Tarkan.«
Levarda holte entsetzt Luft.
»Bitte, Lady Levarda«, sprach Serafina. »Ich weiß, Ihr seid dem Gedanken an eine Heirat nicht wohlgesonnen, aber Ihr dürft nicht vergessen, welche Ehre es ist, wenn er Euch ausgewählt hat. Ich glaube, er hat sich an dem Abend, als er Euch kennenlernte, ernsthaft in Euch verliebt!« Zaghaft lächelte ihr Serafina zu.
Levarda gelang es, zurückzulächeln, obwohl sich ihre Gedanken im Kopf überschlugen. Um nicht verrückt zu werden, zwang sie sich, ihre Arbeit an der Decke wieder aufzunehmen.
Im Wachzimmer traf Levarda anstelle eines Soldaten nur Timbor an, der die Wocheneinteilung seiner Männer vornahm. Er sprang auf, als sie eintrat.
»Was ist los, Lady Levarda, irgendetwas mit dem Thronfolger?«
»Nein, Timbor, mit Agilus ist alles in Ordnung.«
»Lady Smira?«
»Nein, auch mit ihr ist alles bestens.«
»Verzeiht, aber Ihr wirkt so blass und besorgt.«
»Timbor, ich brauche dringend eine Audienz beim hohen Lord.«
»Beim hohen Lord? Weshalb?«
»Ist das wichtig?«
»Ja, Lord Otis wird es wissen wollen.«
»Können wir Lord Otis nicht außen vor lassen?«
Timbor setzte sich langsam auf die Schreibtischkante und musterte sie mit seinen wachen grünen Augen. Er fuhr sich durch seine verstrubbelten, schwarzblauen Haare, schob seinen muskulösen Oberkörper vor und wirkte dadurch trotz der sitzenden Haltung fast bedrohlich.
»Hat die Audienz etwas mit ihm zu
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