Licht und Dunkelheit
wusste, was sich in der Phiole befand? Sie nahm den Brief und verbrannte ihn im Kamin. Dann machte sie das Fenster auf und überlegte, ob sie hinunter in den Garten klettern sollte.
Hinter ihr räusperte sich jemand. Einer der Soldaten war hereingekommen. »Bitte nicht, Lady Levarda, Ihr erspart uns einen Haufen Ärger, wenn Ihr Euch einfach an die Anweisung Eures Mannes haltet.«
»Ich wollte nur frische Luft schnappen.«
Der Soldat schüttelte den Kopf und trat neben sie ans Fenster. »Seht Ihr die zusätzlichen Wachen auf den Mauern?«
Levarda schaute, wohin sein ausgestreckter Arm zeigte.
»Sie haben die Aufgabe, alles, was sich an Eurem Turm bewegt, zu töten, egal, ob es ein Vogel, eine Biene oder ein Mensch ist. Sie werden sicherlich nicht auf Euch schießen, aber sie sorgen dafür, dass Ihr aus dem Garten nicht herauskommt.«
»Ich verstehe.«
»Ich denke, noch nicht ganz, Lady Levarda, und weil ich Euch mag, verrate ich Euch etwas, das mich Kopf und Kragen kosten kann: Es hat meinen Offizier Sendad viel Mühe gekostet, dafür zu sorgen, dass Ihr Euch heute in diesem Zimmer frei bewegen dürft. Lord Otis zog ernsthaft in Erwägung, Euch anzuketten.«
Der Soldat zeigte auf einen Ring an der Wand. Eisen, ein Element, das sie nicht beeinflussen konnte. Als er ihren Gesichtsausdruck sah, nickte er.
»Ich denke, jetzt habt Ihr verstanden.« Er ging zum Fenster und schloss es.
Levarda wanderte durch ihr Zimmer und überlegte, was sie mit Otis anstellen würde, wenn sie ihn in die Finger bekam. Schließlich entschied sie sich, ihre Energie sinnvoller zu verwenden.
Sie setzte sich an den Schreibtisch, konzentrierte sich und schrieb alles, was sie gestern erlebt hatte, nieder: die dunkle Flüssigkeit, die Tentakel – aber auch ihre Erfahrungen mit den Schatten im Innern des hohen Lords. Nach einigem Zögern fügte sie ihr Erlebnis am See, damals auf ihrer Reise nach Forran, hinzu. Nachdenklich las sie sich das Geschriebene durch. Etwas übersah sie hier, doch ihr wollte nicht einfallen, was. Völlig vertieft in ihre Gedanken bemerkte sie nicht, dass Adrijana ins Zimmer kam.
»Verzeiht die Störung, Lady Levarda. Es ist spät und ich soll Euch für den Empfang hübsch machen.«
»Hübsch machen?«
Sie erinnerte sich an die Worte von Lady Eluis und lächelte grimmig. Das Mädchen sah sie beunruhigt an.
»Fang an, Adrijana, und gib dein Bestes, wir wollen doch nicht den Unwillen meines Mannes erregen, nicht wahr?«
Ihr Blick fiel auf das zarte Wesen, welches sich hinter dem Rücken der Magd versteckt hatte. »Wie ich sehe, hast du dir Verstärkung mitgebracht?«
Adrijana zog das Mädchen hinter ihrem Rücken hervor. »Das ist Ruth, sie kann wunderbare Frisuren machen. Ich bin froh, dass Ihr heute meiner Meinung seid, was das Zurechtmachen betrifft. Immerhin habt Ihr die Ehre, Prinz Tarkan den zukünftigen hohen Lord Agilus vorzustellen.«
Levarda zog voll Unbehagen die Schultern hoch. Ihr gefiel weder die Vorstellung, dass Agilus in Prinz Tarkans Nähe kam, noch die, dass sie selbst ihm nahekommen musste.
Adrijana beobachtete sie verstohlen. »Ihr hegt doch keine Gefühle für den Prinzen?«
»Aber nein!«
»Ihr dürft die Ehre in keinem Fall ablehnen, die Euch Lady Smira zuteilwerden lässt. Sie hatte eine heftige Auseinandersetzung mit Lord Otis deshalb.«
»Er wollte nicht, dass ich Agilus Prinz Tarkan vorstelle?«
Adrijana blinzelte ihr verschmitzt im Spiegel zu. »Ich fürchte, Euer Gemahl ist eifersüchtig auf den Prinzen.«
»Das ist lächerlich«, tat Levarda die Behauptung ab.
»Das denke ich nicht. Prinz Tarkan hat beim hohen Lord um Eure Hand angehalten und bei seinem letzten Besuch einen Mondscheinspaziergang mit Euch gemacht.«
»Lord Otis ist nicht eifersüchtig auf Prinz Tarkan!«
»Wie Ihr meint«, lenkte Adrijana ein.
Nachdenklich runzelte Levarda die Stirn. Er hatte keinen Grund eifersüchtig zu sein. Es musste einen Grund geben, dass Otis ihr Zusammentreffen mit Prinz Tarkan verhindern wollte. Sie schloss die Augen und ließ die Prozedur über sich ergehen. Hätte sie sich nur gestern nicht so zügig geheilt. Gäbe es noch Blessuren, wären sie nützlich als Ausrede für den heutigen Abend. Sie hatte keine Lust, zwischen den beiden Männern zu stehen, die einen Krieg gegeneinander führten und sie für ihre Zwecke benutzten.
Levarda stand mit Lady Smira auf dem Gang, der sich an die Gemächer der hohen Gemahlin anschloss. Agilus lag friedlich schlafend in ihren
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