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Licht und Dunkelheit

Licht und Dunkelheit

Titel: Licht und Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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Gelassenheit, während der Wind allen Kummer fortwehte.
    Levarda öffnete die Augen und zog ihre Hände von dem schlafenden Mädchen zurück. Es drehte sich wimmernd zur Seite.
    Levarda wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte. In ihrem Mitgefühl waren viele ihrer ruhigen, heilenden Energien zu dem Mädchen geflossen, aber sie hatte nicht genug der vergifteten Gefühle aus ihrem eigenen Körper abfließen lassen. Adrijanas jahrelanger Hass auf ihren Vater hatte sich mit ihrem Entsetzen und Zorn gepaart, die sie bei den Bildern empfunden hatte. Die Luft in dem Raum begann sich zu drehen, der Boden unter ihren Füßen vibrierte. Levarda musste hinaus, musste in die freie Natur und diese Energie aus sich strömen lassen, und zwar schnell – so schnell es ging. Die Wogen des Zorns bebten bereits durch ihren Körper, ließen keinen Platz mehr für Kontrolle oder auch nur Vernunft. Levarda rannte zur Tür, wusste nicht, wie viel Zeit ihr noch blieb, bis sie völlig die Kontrolle über sich verlor.
    Die Wachen stellten sich ihr in den Weg. Mit einer Handbewegung wischte sie die Soldaten von den Füßen und ließ sie gegen die Wand prallen, lief den Gang entlang und die Treppe hinunter in die Halle. Im Nu standen zwanzig Männer, Sendad eingeschlossen, um sie herum. Sie fauchte zornig. Die Soldaten hatten keine Ahnung, in welcher Gefahr sie sich befanden. Levarda musste ins Freie – musste einfach. Mit einer letzten Willensanstrengung fixierte sie ihren Blick auf Sendads blaue Augen.
    »Lasst mich nach draußen! Sofort!«, presste sie mühevoll beherrscht hervor.
    Sie wusste nicht, was es war, das Sendad gleich reagieren ließ. Spürte er die Energie, die aus ihr strömte, die fast in ihr explodierte, oder lag es an ihrem Blick? Er machte den Männern ein Zeichen und sie blieben stehen, rührten sich nicht. Levarda stürmte aus der Burg. Aus der Ferne schon sprengte sie den Riegel von Sitas Box beiseite. Die Stute erreichte das Tor zur selben Zeit wie sie. Levarda sprang mit einem Satz auf ihren Rücken und galoppierte in die Nacht hinein – in eine Nacht, die durch einen Sturm entstanden war, der zu toben begonnen hatte. Eisiger Wind peitschte Regentropfen in ihr Gesicht. Der Himmel war voller schwarzer Wolken, Blitze jagten darüber hinweg. Ein Donner grollte heran, Luft wirbelte um sie herum.
    Sie erreichte den Wald, tauchte ein in seinen Schutz. Weiter und weiter ritt sie, bis vor ihr der See auftauchte. Sie sprang ab, eilte zum Wasser. Der Sturm gewann immer mehr an Stärke, bündelte seine Kraft mit ihr im Zentrum. Levarda hob die Hände in die Luft, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und ließ ihrer Wut freien Lauf. Ein langgezogener Schrei gellte durch die Nacht. Das Wasser bäumte sich auf zu einer Säule, die sich in den Himmel reckte und in einem weiten Bogen zur Erde zurückströmte.
    Levarda ließ die Elemente toben. Es dauerte eine Ewigkeit, aber schließlich entstand um sie herum ein Raum der absoluten Stille.
    »Warum?«, flüsterte sie erschöpft, als sie spürte, wie eine Wesenheit ihren Kreis betrat.
    »Auf ein Warum, meine Tochter, gibt es nie eine Antwort.«
    Wie das leise Zirpen eines Vogels hörte sie die Stimme einer Frau in ihrem Kopf. Sie öffnete die Augen, konnte aber nichts erkennen.
    »Wie kann ein Vater seiner eigenen Tochter so etwas antun?«
    Stille.
    Levarda spürte erneut Zorn in sich aufwallen. »Sprich mit mir. Ich will es wissen!«, schrie sie heraus.
    Nebel ballte sich zusammen und formte sich zu der Gestalt einer Frau.
    »Lass deine Wut und den Hass gehen.«
    »Das kann ich nicht, der Schmerz ist zu groß. Er ist zu groß für mich«, presste Levarda zwischen den Zähnen hervor.
    »Wie kann dein Schmerz größer sein als der Schmerz der Tochter?«
    Levarda schüttelte den Kopf. Tränen stiegen in ihre Augen. »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Wie kann ein Vater seinem Fleisch und Blut so etwas antun?«
    »Das ist die Welt. So ist sie, nicht anders.«
    Sie schüttelte heftig den Kopf, nicht bereit, die Antwort gelten zu lassen. »Nein, so ist sie nicht. In Mintra ist sie so nicht.«
    Die Stimme lachte, und es hörte sich an wie das Klingen von kleinen Glöckchen. »Mintra!«, spottete die Stimme, »Meine Töchter und Söhne haben sich zurückgezogen von der Welt. Sie verschließen die Augen vor dem Leid der Menschen, und es wird schlimmer kommen, viel schlimmer.«
    »Was soll es Schlimmeres geben als das, was ich gesehen habe?« Levarda bereute ihre Worte, noch

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