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Licht

Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Meckel
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einer verrutschten Matratze, und es war das schlafende Gesicht eines Geliebten, sein Lachen und die gemeinsame Sorglosigkeit. Es war überwältigend, sich zu erinnern (und es beruhigte sie, sich wieder erinnern zu können), daß sie, seit sie liebte, geliebt worden war. Auch außerhalb der Liebe waren die Körper der Männer da und die Körper der Frauen. Wenn mit den Gesichtern etwas nicht stimmte, waren immer noch die Körper da, in der U-Bahn oder auf einer Party, gottseidank war die Unschuld der Körper da. Man brauchte sie nicht berührt zu haben, um sich an sie erinnern zu können. Es genügte, sie gesehn und erkannt zu haben. (Vor einem Jahr ihre Wintertage in London, Regenabend eines Tages, den sie auf Konferenzen verloren hatte. Sie war erschöpft von Gerede, Meinungen, Höflichkeit, lief durch London und nahm nichts wahr, stieß mit Menschen zusammen und ließ sich treiben, gierig nach Luft und hungrig nach Schönheit, sie war sich selber so fremd, daß ihr alles fehlte. Um zu sich zu kommen, flüchtete sie in einen Park. Unter tropfenden Bäumen kam ihr ein Mann entgegen, sie war allein mit ihm auf dem Trottoir. Zunächst ein Mensch in unbestimmter Entfernung, dann ein Regenmantel und ein Gesicht – unbezweifelbar, aufmerksam, sagte Dole –, ein Blick auf ihre Gestalt und ein offenes Lächeln, dann war er vorbei, sie hätte ihn ansprechen können.
    Der eine Augenblick war für immer genug. Sie hatte den Mann und seinen Körper erkannt, sie selber war von ihm erkannt worden, so daß ihr die Möglichkeit der Liebe wieder bewußt war und ihre Erschöpfung keine Rolle mehr spielte. Zwei Stunden später rief sie mich an und erzählte davon; ihre helle Stimme; sei kopflos und küß mich!)
    Sie ist am Abend aus Brüssel zurückgekommen. Ich habe sie vom Bahnhof abgeholt. Wie immer nach einer Reise erzählt sie nicht viel, etwas Ausführliches kann sie erst später sagen. Ich stelle fest, daß sie neue Ohrringe trägt (ihre Gewohnheit am Telefon, den linken Ohrring abzunehmen). Ihr Lachen ist atemlos, ihre Augen glänzen. Sie hat unzählige Bücher und Kleider und dafür einen besonderen Koffer gekauft. Sie hat eine Teekanne mitgebracht, indische Räucherstäbchen und schwarzen Tabak. Sie ist in einer Fotoausstellung gewesen, zweimal in einem Buster-Keaton-Film, und sie ist zufällig in ein Sektfrühstück geraten, das im Rohbau eines Parkhauses stattfand, improvisiert, phantastisch, mit Spirituskocher, Klappmöbeln, Grammophon, und eigentlich kannte sie keinen Menschen dort. Sie ist in verschiedenen Lokalen gewesen, eleganten Lokalen, und weiß jetzt, wie Crepe de Bourbon gemacht wird, sie hat das Rezept – als Kompliment sozusagen – von einem netten Küchenchef überreicht bekommen. Sie hat ein paar ungewöhnlich sympathische Leute getroffen und überhaupt so viel erlebt, daß ihr immer noch ganz schwindlig ist –
    – und ihr Gesicht am nächsten Morgen, unbeweglich im Bett in der Dämmerung, stundenlang unbeweglich, bis es von der Sonne geblendet wird. Ihre offenen Augen und der Blick in mein Gesicht, nachdenklich, ruhig, ununterbrochen, und einmal mehr sagt sie nichts.
    Jener Mann, der in einem Park in London an ihr vorbeiging.
    Ihre Stimme damals am Telefon läßt vermuten, daß er es ist. Vor allem die Art, wie sie ihn später erwähnte: ohne Anlaß, betont beiläufig, aber spürbar mit ihm beschäftigt. Wenn die Annahme stimmt, ist sie seit einem Jahr die Geliebte dieses Mannes. Möglich, daß sie häufig in London war. Vielleicht jetzt wieder von Brüssel aus. Oder er in Brüssel.
    Dieser Sommer und die Autotouren im Flußgebiet, die Pappeln am Ufer und die grüne Strömung im Kies. Die Vogelbeerbäume an der Straße zum Warenladen und die Bungalows unter Bäumen verstreut am Hügel. Das gemeinsame Frühstück auf der Terrasse und der Blick in die Ebene, die Rauchfahnen dort und der aufgerissene Himmel. Die gelesenen Bücher und die Gespräche darüber, die ungelesenen Bücher und das Vergehen der Zeit. Die Regennächte und Regentage, der Schlaf bis spät in den Vormittag, das Herumlaufen in Bademänteln und die Zigarettenkippen auf einer Untertasse. Der Rock ’n’ Roll in den Zimmern, die offenen Türen und Doles Stimme im Garten. Das Weintrinken in der Küche am Vormittag. Die steinigen Wege in der Flußniederung, das Nachhausekommen in der Dämmerung, der im Stehen getrunkene Schnaps und das erfrischte Gesicht. Doles Pullover auf einem Gartenstuhl und die leeren Weingläser morgens auf dem

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