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Licht

Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Meckel
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war die Abwesenheit ihres Körpers in der Stille und die Vergegenwärtigung ihrer Nacktheit, es war das unbenutzte Bett und die Erinnerung an ihre Stimme. Dole wußte das und fragte beiläufig, ob sie mir noch gefalle wie in der Regennacht vor sieben Wochen. Was hatten wir in der Regennacht gemacht? Faß mich an und du weißt, was wir gemacht haben. Es war ein heißes Vergnügen für sie zu wissen, daß ich an ihren Körper dachte. Es verschlug ihr den Atem, daß die Liebe bevorstand.
    Ich kam nachmittags in ihre Wohnung, rief ihren Namen und öffnete das Bad – sie war nicht da. Auf dem Küchentisch Nüsse und Orangen, vor dem Spiegel ein einzelner Handschuh. Ich war zwischen ihren Möbeln allein und sah mich mit Einbrecheraugen um. Was würde ich stehlen? Die florentinische Lebkuchennixe mit den drei Brüsten, eine Reproduktion von Caravaggios David oder die zehn an die Wand gepickten Fotografien der Slums von El Paso/Texas? Ihre Wohnung war nicht bestehlenswert. Was sie außer Kleidern und Büchern besaß, war Privatkram aus sieben Jahren, Zauberzeug und Freibeuterschnickschnack, aufreizend wertlos für jeden Esel, der sich an Protzmitteln orientierte. Sie hatte nie ein bemerkenswerteres Möbel als einen abgeschabten gelben Sessel und keine wertbeständigere Sache als eine Bart-Tasse aus Graubünden besessen. Sie besaß (ich besitze! sagte Dole) ein lackiertes grünes Holzpferd mit Streichholzohren, das wir auf einem Empfang gestohlen hatten. Ihr gehörten Glocken aus bemaltem Kupfer, kleine Drehorgeln aus Messing, Schafsglocken aus Burgund und ein Paar Dutzend Schlüssel von Kirchentüren. Sie besaß eine nicht überschaubare Menge von Schneckenhäusern, runde Kiesel aus skandinavischen Flüssen, Kacheln von Bauernöfen und dreißig verschiedene Schnapsgläser. Sie war im Besitz (ich bin im Besitz! sagte Dole) eines Nashornkäfers, der ihr auf einem walisischen Kleinstadtbahnhof in den Mantel geflogen war. Gemeinsam mit mir gehörte ihr ein Kasten voller Fotos aus den Honigmondsommern seit Entdeckung der Liebe. Hühnergötter, Rabenfedern und zweihundert Kriminalromane. Ansichtskarten aus Leningrad, Delft, Bomarzo und Kleinseebach am Kanal. Eine Cocacolaflasche voll Sand aus der Libyschen Wüste und ein Hampelmann mit ausziehbarem Penis. Sie besaß einen Stapel ungelesener Neuerscheinungen und ein dickes altes Buch über Griepenkerl (ich hatte wieder vergessen, wer das war). Sie besaß den vierten Band einer polnischen Byron-Ausgabe aus dem Jahre 1893, vor allem ein rauchgraues Weinglas mit der Schnörkelschrift RISTORANTE PINETA/R. MARIOTTI/MILANO – ein Besitz, dessen sie sich – ich erfuhr nie weshalb – immer und überall bewußt war. Ein Elsternmensch bin ich, sagte Dole, ich bin ein Gesindelmensch mit Hamsterpfoten. Es hatten sich Schallplatten in Kartons angesammelt, Kraut-und-Rüben-Kollektion von Buxtehude bis Sugar Baby und ein paar hundert Chansons, die jeden Wohnwechsel überstanden hatten.
    Wenn Dole nachdenklich war, zog sie sich auf ein Bett zurück und hörte Chansons, ihre persönliche Zuckerwassermusik. Ich ließ sie dabei allein, weil ich annahm, daß sie mit Erinnerungen spielte, in denen ich nicht vorkam. Dole nannte das: mit Orangen jonglieren. Orangen, Orangen – das waren die Männer, die sie geliebt und die andern, mit denen sie geschlafen und die sie vergessen hatte, Eintagsfliegen aus einer schnellen Nacht, erotische Flimmerstunden, Privatbesitz. Aber so harmlos schien das nicht gewesen zu sein, denn sie fielen ihr eines Abends wieder ein, und es verwirrte sie (es erschreckte, beschämte sie), daß sie einen Geliebten vergessen konnte. Wie war es möglich, einen Mann zu vergessen, mit dem sie einmal einig gewesen war – jahrelang und vollständig zu vergessen. Erinnerung, das waren die Körper und Stimmen, und Körper und Stimmen waren plötzlich da. Sie sprang vom Bett und wußte nicht wohin. Sie lief aus dem Zimmer und rauchte zu viel und machte sich laut in der Küche zu schaffen. Es kam auch vor, daß sie die Wohnung verließ und stundenlang ohne Ziel in den Straßen herumlief. Erinnerung – und war ein Lachen zu zweit, wenn man vor Schneebällen davonrannte und sich in offene Arme fallen ließ. Es war die nackte Haut in einem halbdunklen Zimmer, schöner noch im Schatten der Bäume, in der hautwarmen Sommerluft, wenn nackte Schultern aneinander gerieten und Absichtslosigkeit zu Verlangen wurde. Es war die übereinstimmende, atemlose oder langsame Bewegung zweier Körper auf

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