Lichterfest
Schreibtisch.
»Okay – los!«, ordnete José an, und der Junge berührte einen Punkt auf dem Bildschirm, um den Film zu starten.
Ich beugte mich leicht vor, während Dragan die Arme verschränkte und mit triumphierendem Gesichtsausdruck auf sein Telefon glotzte.
Er hatte tatsächlich alles gefilmt: Zu Beginn eine kurze Szene auf der Straße, die nach Tumult aussah. Ich erkannte den Muskelmann, der sich aus der Menge löste, der Pummelige und der Untersetzte folgten ihm unverzüglich. Sie riefen sich etwas zu, das ich nicht verstehen konnte, dann kam die Bar ins Blickfeld. Durch die großen Fenster waren undeutlich Gäste im Innern des Lokals auszumachen. Erst bei näherem Hingucken erkannte ich mich selbst an der Theke sitzen. Neben mir hockte Fernando, den ich da noch für einen Türken gehalten hatte, und beugte sich gerade vor, um sich unter dem Tresen zu schaffen zu machen, als der Film abriss.
»Was soll das?«
Dragan verzog genervt die Mundwinkel. »War nix los«, sagte er zu José.
Dieser nickte nur und starrte weiter auf den Bildschirm. Dragan hatte wohl ein paar Minuten Pause gemacht, denn nun sah ich die drei Burschen. Sie hatten Fernando bereits in ihre Mitte genommen und schubsten ihn unsanft über die Straße. Dann begannen sie, auf ihn einzuprügeln. Ich schloss die Augen – das musste ich mir nicht noch mal ansehen. Trotzdem hörte ich durch das Rauschen und die heftigen Atemzüge des Filmers die eindeutigen Geräusche, die Schläge, die Tritte, das Knirschen am Schluss.
»Da!«, rief José plötzlich und ich blickte auf.
Fernando lag am Boden und blutete, die Kamera verweilte nur kurz bei ihm. »War nix los«, wäre wohl auch hier Dragans Kommentar gewesen. Er hatte sich einfach weitergedreht und in die Zuschauer gefilmt, diese sensationslüsterne Meute, die jetzt doch ein wenig entsetzt schien. Man sah den Schreck in den Gesichtern, als die Gaffer realisierten, dass etwas Furchtbares und vor allem sehr Reales geschehen war. Erstaunlich schnell zogen sie sich zurück, während man im Hintergrund die Sirenen hörte.
Miranda rannte durchs Bild, die Kamera folgte ihr mit einem wackeligen Schwenk, kurz tauchte dabei auch der Muskelmann auf, der uns verfolgte. Bei dem Pummel, der konsterniert auf dem Boden saß, hatte Dragan kurz innegehalten und sich dann offenbar an den untersetzten Kumpel erinnert. Ein hektisch zuckendes Auf und Ab, begleitet vom Knirschen der Schritte, sprach dafür, bevor der bewusstlos vor der Kühlerhaube des Wagens Liegende ins Bild rückte.
Dann vollführte die Kamera erneut eine Drehung und Fernando war wieder zu erkennen, neben ihm kauerte jetzt eine Gestalt mit Hut und halb vermummtem Gesicht. Ein lilafarbener Frauenschal. Deutlich war zu sehen, wie die Person blitzschnell den Körper des Jungen abtastete und die Hosen- und Jackentaschen durchforstete. Sie schien jedoch nichts gefunden zu haben. Ich erkannte, dass es sich um einen schlanken, mittelgroßen Mann handelte, als er sich erhob. Die Aufnahme brach ab.
»Ist das alles?« Ich lehnte mich zurück und zündete eine Zigarette an.
José zuckte stumm mit den Schultern.
Verärgert blies ich den Rauch in seine Richtung. »Jetzt wissen wir genauso viel wie zuvor. Der Junge wurde verprügelt, danach hat ihn einer durchsucht. Wir haben weder ein Gesicht noch haben wir ’ne Ahnung, worauf der Typ aus war. Dazu hätten wir Blondies verwackeltes Meisterwerk wirklich nicht gebraucht. Da gibt’s selbst bei The Blair Witch Project mehr zu sehen, und das will was heißen!«
Blasiert stieß der Junge die Luft aus und blickte mich zum ersten Mal an. Äußerst herablassend, wie ich feststellen musste.
»Der Kerl war schon vorher da.«
»Welcher?«
Er deutete auf sein Handy. »Na, der mit dem Hut und dem ollen Schal. Er hat die Jungs angeheizt.«
»Angeheizt?«
»Die Stimmung war voll geladen, wie fast immer. Da braucht es manchmal nicht viel, bis die Situation eskaliert. Der Typ mit dem Hut ist zu diesen drei Prollbrüdern hin und hat sie angestachelt. Die sind bekannt in der Szene. Prügeln sich gerne. Sind jeden Samstag da, freitags manchmal auch, machen immer Ärger.«
»Was hat er ihnen gesagt?«
»Keine Ahnung. Er hat nur immer wieder auf den jungen Latino in der Bar drin gezeigt und auf sie eingeredet. Wozu das geführt hat, sieht man ja auf meinem Film.«
»Und du hast kein Wort verstanden, was er gesagt hat?«
Der Blonde schüttelte den Kopf. »Nein, Mann, ich stand viel zu weit weg. Aber wie gesagt,
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