Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
Als sie vor Stunden das Badehaus betreten hatte, war ihr die Luft noch warm und stickig erschienen, doch nach dem langen Aufenthalt im heißen Quellwasser kam sie ihr jetzt eiskalt vor. Aber nicht nur die Kälte jagte ihr einen Schauer über den Rücken, auch die Erschöpfung nach einem anstrengenden Liebesakt forderte ihren Tribut. Nicht zuletzt spukten ihr Rays letzte Worte im Kopf umher. Er hatte gesagt, dass er sie liebte und dass er es ernst meinte. Zuletzt hatte er einen vollkommen nüchternen Eindruck gemacht, der Alkoholeinfluss schien sich verflüchtigt zu haben. Jil ging zu den Regalen mit den Handtüchern und zog eines heraus. Ihre Lippen umspielte fortwährend ein Dauergrinsen, das sie nicht abstellen konnte. Noch immer glaubte sie, das Knistern zwischen Ray und ihr zu hören. Er liebte sie. Eigentlich ein merkwürdiger Gedanke. Noch nie hatte ein Mann ihr ernsthaft seine Liebe gestanden. Nicht einmal Cryson. Oder hatte Jil seine Signale lediglich missverstanden? Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus und in ihrem Hinterkopf formte sich das Wort Hochverrat . Sie war hierher gekommen, um die große Heldin zu spielen, die Befreierin aller Sedharym. Und was tat sie nun? Sie vögelte mit einem ihrer Feinde, und noch dazu hatte sie sich in ihn verliebt. Ja, das hatte sie. Es hatte keinen Sinn mehr, es noch länger zu leugnen.
Jil drückte ihre schweren nassen Haare im Handtuch aus, als sie prickelnde Blicke in ihrem Nacken spürte. Nur einen Lidschlag später bestätigte sich ihre Vermutung, denn Schritte näherten sich. Schwere, männliche Schritte.
Jil fuhr herum. »Ray, hast du denn noch immer nicht genug?« Ein Schreck fuhr ihr durch die Glieder und augenblicklich verschwand das Grinsen aus ihrem Gesicht. Dort stand nicht Ray, sondern Lesward, und er blickte ungeniert an Jils nacktem Körper hinab. Sie gab sich keine Mühe, ihre Blöße zu verstecken, denn dies hätte in dieser Situation nur noch albern gewirkt. Trotzdem fühlte sie sich unbehaglich. Lesward sah nicht so aus, als beabsichtigte er, ein Bad zu nehmen. Er trug ein rotes Hemd, eine dunkle weite Hose und schwere Stiefel mit dickem Profil. Seine Haare waren wie immer wirr und sein Blick ernst.
»Lesward, du hast mich erschreckt«, sagte Jil. Er erwiderte nichts darauf, sondern musterte sie ein weiteres Mal mit kritischen Blicken.
»Hast du das da schon immer gehabt?«, fragte er mit dunkler Stimme. Jil folgte seinem Blick mit den Augen. Er starrte auf das Mal an ihrer Hüfte, der vierzackige Stern. Jils Herz begann zu hämmern. Sie schlang das Handtuch um ihren Körper, obwohl sie wusste, dass es zu spät war. Wusste Lesward etwa, was es bedeutete? Natürlich wusste er das. Vom Blute her war er ein Sedhar wie alle anderen.
»Ja, das habe ich mir jedenfalls nicht selbst zugefügt«, sagte Jil in spöttischem Ton.
»Zieh dich an«, stieß Lesward hervor. »Ich wollte eigentlich mit dir darüber reden, wie ich mich bezüglich deiner Zukunft entschieden habe, aber wie mir scheint, muss ich das alles noch einmal überdenken.«
Jil neigte für gewöhnlich nicht dazu, in Panik zu geraten, doch ihre Hände zitterten noch stärker als zuvor, als sie sich den Bademantel überstreifte. Dann drehte sie sich langsam zu Lesward um und sah im in die Augen. Sie wollte ihm unter keinen Umständen ihre Unsicherheit spüren lassen.
»Hast du nichts Anständiges zum Anziehen?«, fragte er.
»Nein. Meine Sachen sind kaputt und schmutzig.«
Lesward stieß ein Knurren aus. »Nun gut, mir soll es egal sein. Komm mit.«
Er machte auf dem Absatz kehrt, Jil folgte ihm. Sie wusste, dass es Momente gab, in denen man besser schwieg, aber Jil war nie eine Frau der weisen Entscheidungen gewesen. »Macht mein Muttermal irgendeinen Unterschied?«, fragte sie in die Stille hinein. Vielleicht konnte sie noch etwas retten, wenn sie die Unwissende spielte. »Magst du keine Frauen mit kleinen Makeln?«
Lesward funkelte sie böse von der Seite an. »Halt einfach dein dummes Maul und komm mit.« Jil wich vor der Schärfe in seiner Stimme unwillkürlich zurück. Ein gelbliches Glühen blitze kurzzeitig in seinen Augen auf. Was sie bei Ray erotisch fand, wirkte bei Lesward hingegen beängstigend.
Lesward blieb vor seinem Arbeitszimmer stehen und sperrte die Tür auf. Er hatte nicht einmal den Anstand, Jil den Vortritt zu lassen. Hastig schloss er die Tür wieder, als sie ihm gefolgt war. Jil bemerkte, dass er sie nicht abgeschlossen hatte. In Gedanken
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