Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
Erde sich zu einem steilen Hügel anhäuften und sie aufwärts kriechen musste. Mehrmals verlor sie den Halt, das lose Geröll rutschte mit ihr hinunter. Jil spürte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Heulerei gehörte nicht zu den Dingen, denen sie sich in ihrer Vergangenheit oft gewidmet hatte, aber all ihre Verzweiflung und Angst krochen nun in ihr hoch und schnürten ihr die Kehle zu.
Jil wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und begann, in blinder Raserei nach den Steinen zu greifen und sie hinter sich zu werfen. Vielleicht konnte sie sich eine Schneise graben. Einige der Brocken musste sie mit beiden Händen fassen, da sie sehr schwer und unhandlich waren.
»Dana!«, rief Jil. Ihre Stimme hallte durch den Gang, aber es war ihr egal.
»Ray!« Sie brüllte nun aus voller Kehle, und die Tränen liefen wie ein heißer Sturzbach aus ihren Augen, sie konnte nichts dagegen tun. Immer weiter grub sie sich durch die Massen von Steinen, bis sie tatsächlich einen Lichtschein durch einen winzigen Spalt hindurch wahrnahm. Es kam Jil vor wie ein heller Sonnenaufgang nach einer finsteren Nacht, obwohl das Licht kaum wahrnehmbar war. Ihre Bemühungen, den Gang freizulegen, gerieten ins Stocken. Die Geröllbrocken waren jetzt einfach zu groß und zu schwer, als dass eine junge Frau sie hätte allein bewegen können. Instinktiv spürte Jil, dass ihr Weg nun hier enden würde, trotzdem quetschte sie ihre Hand sehnsuchtsvoll durch den kleinen Spalt, als glaubte sie, mit dem ganzen Körper hindurch zu passen. Mittlerweile waren ihre Tränen in ein Schluchzen übergegangen. Sie allein war Schuld an dieser Misere. Sie hätte auf Cryson hören und in Sedhia bleiben sollen. Sie musste Ray vergessen. Aber was war mit ihrer Schwester? Sie konnte ihre Schwester nicht vergessen. Das konnte nicht einmal Cryson von ihr verlangen.
»Dana, es tut mir so leid«, wimmerte Jil zwischen zwei Schluchzern. »Ich habe dich immer schlecht behandelt und jetzt stirbst du vielleicht wegen mir.«
Jil wusste, dass sie sich da in etwas hineinsteigerte, aber sie konnte ihre Gefühle einfach nicht mehr länger unterdrücken. Sie jammerte und jaulte wie ein Schlosshund.
Plötzlich bebte die Erde erneut. Jil schützte ihren Kopf mit den Armen vor den erneut herab stürzenden Steinen. Auch die Brocken des Geröllhaufens, auf dem sie saß, setzten sich in Bewegung und rutschten mit einem lauten Donnern den Hang hinunter. Jil stieß einen spitzen Schrei aus. Der kleine Spalt, durch den sie das Licht gesehen hatte, war verschwunden. Jil setzte sich auf und entfernte sich ein paar Schritte. Panik schüttelte sie. Vielleicht stürzte der Gang erneut ein und begrub sie unter sich.
Als das Beben endlich nachließ, war es wieder still, jedoch nur für wenige Sekunden. Ein lautes Grollen drang aus der Richtung des Geröllhaufens. Jil verfluchte sich für ihre schlechten Augen. Sie konnte nicht erkennen, was sich nur wenige Yards von ihr entfernt abspielte. Das Donnern schwoll an, und plötzlich mischte sich ein für die unterirdischen Stollen gänzlich ungewöhnliches Geräusch darunter: Wasserplätschern. Jil war verwirrt. Was hatte das zu bedeuten? Sie wandte sich ab und lief den Gang in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war. Nach nur wenigen Schritten trat sie in eine Pfütze. In eine Pfütze? Hier unten?
Platsch. Platsch. Platsch.
Ihre Füße schlugen bei jedem Schritt auf eine Wasseroberfläche, daran bestand kein Zweifel. Das Geräusch verwandelte sich binnen weniger Sekunden in ein dumpfes plopp plopp, als sie bis zu den Knöcheln im Wasser versank. Ihre Schuhe und Strümpfe waren durchnässt. Jil beschleunigte ihre Schritte, als das Donnern hinter ihr lauter wurde. Obwohl sie absolut nichts erkennen konnte, wandte sie sich trotzdem über die Schulter hinweg um. Mittlerweile reichte ihr das Wasser bis zu den Knien. Von irgendwoher drängten sich Wassermassen durch die Spalten im Geröllhaufen, rissen ihn mit Gewalt nieder.
Durch mein stumpfsinniges Graben habe ich mir vermutlich mein eigenes nasses Grab geschaufelt. Hätte ich die Wand doch besser verstärkt als abgetragen…
Jil war eine schnelle Läuferin, doch gegen das Wasser hatte auch sie keine Chance. Durch die Kälte versteiften sich ihre Muskeln und ihre Bewegungen wurden behäbiger. Das Wasser stieg so schnell an, dass sie den Boden jetzt nur noch mit den Zehenspitzen berühren konnte. Sie begann zu schwimmen. Ihre nasse Kleidung kam ihr vor wie ein bleiernes Gewicht,
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