Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
Wasser. Jil hörte Schritte im Aufgang. Jemand stöhnte und seufzte.
»Hallo, ist da jemand?« Jils Stimme war nur ein leises Krächzen, sie war kaum imstande, sich selbst zu hören. Trotzdem näherten sich Schritte auf der Treppe, jemand kam zu ihr herunter. Die Sedharym mussten wirklich über scharfe Sinne verfügen, wenn sie Jils kläglichen Hilferuf gehört hatten.
Jemand griff nach Jils Handgelenken und hob sie wie ein kleines Kind aus dem Wasser. Ihre voll gesogene Kleidung hinterließ einen Schwall Wasser auf den Stufen. Jil kauerte sich zitternd auf den kalten Steinboden und hob den Blick. Im fahlen Lichtschein erkannte sie, wie sich ein Mann zu ihr hinunter beugte. Seine Kleidung war trocken, aber die Haare nass. Er trug sie offen, sie klebten an seiner Stirn und fielen ihm wie flüssige Seide über die Schultern. Mit einer Hand strich er Jil über den Kopf. Ihm fehlten zwei Finger.
»Cryson?«, krächzte Jil mit rauer Stimme. »Du hast überlebt.« Ein Lächeln huschte über ihre Züge. Sie freute sich, ein bekanntes Gesicht zu sehen, auch wenn sie sich erhofft hatte, es sei das Gesicht von Ray.
»Bei den Mächten der Finsternis, du hast es tatsächlich geschafft!« Crysons dunkle schnurrende Stimme ließ Jil einen weiteren Schauer über den Rücken laufen. Er griff ihr unter die Arme und hievte sie zu sich heran. Dankbar lehnte sie den Kopf gegen seine Schulter.
»Hast du nicht im Turm gewartet, wie ich es von dir verlangt habe?«, fragte er mit sanfter Stimme. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich habe befürchtet, dass du eine Dummheit begangen und dafür mit dem Tod bezahlt hast.«
Jil schüttelte sachte den Kopf. Wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen. Es war besser, wenn sie jetzt nichts sagte. Cryson schlang seine Arme noch fester um ihren Oberkörper, seine Körperwärme fühlte sich unsagbar gut an.
»Du zitterst am ganzen Körper. Komm mit nach oben, einige der Überlebenden haben Decken und trockene Kleidung besorgt.«
Jil nickte stumm. Cryson half ihr auf die Füße und geleitete sie zum oberen Ende der Treppe und durch den dahinter liegenden Gang. Draußen war es noch immer Nacht, aber am östlichen Horizont graute bereits der Morgen. Kalte frische Luft griff mit eisigen Klauen nach Jil. Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Nur unter größter Anstrengung gelang es ihr, aus eigener Kraft zu stehen, als Cryson ihr mit einem gewaltigen Ruck die nasse Kleidung vom Körper riss. Fünf andere Sedharym standen dicht bei ihnen, aber Jil schämte sich nicht für ihre Nacktheit. Jils Blick fiel auf Jules, den Finanzverwalter von Sedhia, der sie seinerzeit mit in seine geheime Schänke genommen und mit ihr Karten gespielt hatte. Jil wusste nicht, weshalb es ihr überhaupt etwas bedeutete, doch sie spürte einen leichten Anflug von Erleichterung. Jemand, den sie kannte und mochte, hatte den Angriff überlebt. Er lächelte ihr matt zu. Der Glanz in seinen Augen war erloschen. Jil wandte den den Blick ab.
Jemand reichte ihr ein einfaches Leinenkleid und eine Decke. Jil streifte sich das Kleid mit ungelenken Gliedern über den Körper, jedoch waren ihre Finger zu steif, um es zu schnüren. Es kümmerte sie nicht. Dankbar schlang sie sich die Decke um die Schultern. Jil wusste, dass die Sedharym die Dinge vermutlich von den Menschen gestohlen hatten, aber das war ihr egal. Sie war seit Jahren selbst eine Diebin.
Sie setzte sich auf den Boden und lehnte den Rücken gegen einen Baum. Sie befanden sich im Stadtpark. Noch immer lag ein rötlicher Schein über der Stadt. Das Feuer musste die ganze Nacht über gewütet haben, doch die panischen Schreie der Menschen waren verstummt. Es war beängstigend still. Cryson setzte sich neben Jil und legte einen seiner massigen Arme um ihre Schultern. Dann sah er zu seinen Kameraden hinüber.
»Jim, geh los und sieh zu, dass du etwas zu essen für Jil besorgst«, sagte er. Einer der Sedharym nickte und verschwand in der Dunkelheit.
Cryson wandte sich wieder an Jil. »Ich habe ihn verloren«, sagte er mit reumütiger Miene. Dann starrte er gedankenverloren auf den Waldboden.
»Was hast du verloren?« Jil räusperte. Ihre Stimme klang belegt.
»Das Licht der Sedharym. Den Stein, den du mir gebracht hast.« Cryson verbarg sein Gesicht in seiner verstümmelten Hand. »Ich habe ihn im Wasser verloren.«
»Wenn das Wasser wieder weg ist, kannst du ihn suchen«, sagte Jil. Sie wusste nicht, weshalb sie den Drang verspürte, ihn zu trösten. Vielleicht, weil sie
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