Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
die Magie aufgeben könnte, ohne dass es ihr schadete, wenn sie sein könnte, was sie stets – bis zur letzten Woche – zu sein vorgegeben hatte … Sie merkte, dass sie diese Frage hier und jetzt nicht beantworten und ganz bestimmt Merivan kein Versprechen geben wollte, denn diese würde sie ganz sicher beim Wort nehmen.
»Telmaine? Du willst doch nicht den Rest deines Lebens als Magierin dastehen. Das willst du doch auch deinen Töchtern nicht zumuten.«
»Das entscheide ich später«, sagte sie tapfer, wohlwissend, dass diese Antwort selbst einer hinfälligen Merivan nicht genügen würde. »Meri, ich kann … deinen Arm heilen. Und dir dein Unwohlsein nehmen.«
Merivan hatte Luft geholt, um zu protestieren, doch angesichts dieses verlockenden Angebots strichen nacheinander Abscheu, Unsicherheit und Faszination über ihre Miene. Unvermittelt hielt sie Telmaine die bandagierte Hand hin, mit geballter Faust. »Du weißt sowieso schon alles.«
Telmaine nahm die Faust ihrer Schwester mit beiden Händen, konnte jedoch ein Wimmern nicht verhindern, als sie auf die volle Wucht von Merivans Gedanken traf, die durch die Berührung direkt auf Telmaines Herz gerichtet waren: bittere Vorwürfe, weil Telmaine ihr Leben und das ihrer unschuldigen Töchter zerstört und Schande über ihre Familie gebracht hatte. Sie flüsterte: » Du verstehst nicht «, doch sammelte sie ihre Magie. Diese flutete Merivans verbrannten Arm hinauf und schloss wunde, nässende Haut. Sie hörte Merivan stöhnen, spürte ihr empörtes Staunen mehrere Herzschläge lang, bis ihre Schwester die Hand zurückriss.
»Ich fühle mich bereits viel besser«, sagte sie, übertrieben höflich. »Vielen Dank.«
Telmaine lächelte traurig. Ob ihre Heilung Merivans Zorn und Entfremdung nun besänftigt hatte oder nicht – das Verhältnis zu ihrer Schwester würde nie mehr dasselbe sein. Merivan war eine entschiedene Verfechterin gesellschaftlicher Normen und Vorurteile, und Telmaine hatte diese Normen soeben zutiefst erschüttert. Sie sagte: »Ich gehe jetzt zum Erzherzog. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis es für dich sicher ist, heimzukehren. Aber deine Kinder und dein Mann sollten in Sicherheit sein.«
»Vorausgesetzt«, sagte Merivan, »dass die Lichtgeborenen keine Vergeltung für den Einsturz ihres Turmes üben. Grundgütige Imogene, wie konnten Mycene und Kalamay so etwas nur tun?«
Das hätte Telmaine beantworten können, wäre ihr danach zumute gewesen. Merivan sagte: »Ja, es ist von größter Bedeutung, dass Sejanus überlebt. Wir brauchen keinen Regentschaftsrat, der von denselben Herzögen beherrscht wird, die uns möglicherweise schon einen Krieg mit den Lichtgeborenen eingehandelt haben.« Da Telmaine die Luft anhielt, neigte Merivan den Kopf und warf ihr einen kühlen Peilruf zu. »Kleine Schwester, dein zartes Gewissen tut hier nichts zur Sache. Hat dein Mann dir denn gar nichts beigebracht? Ein zwölfjähriger Erzherzog und ein neunzehnjähriger Prinz sind dieser Krise unmöglich gewachsen.«
Und das, dachte Telmaine, war der Grund dafür, dass der Magier bereit war, ihr zu helfen. Er liebte den Prinzen wie einen jüngeren Bruder, wie einen Sohn sogar, eine Hoffnung für die Zukunft.
Merivan ging zu dem kleinen Waschbecken hinüber und hängte das Handtuch über den Rand. Ohne sich umzudrehen, sagte sie: »Gut, dass Mama ihre Töchter zur Selbstständigkeit erzogen hat, sonst wäre ich ohne Zofe ziemlich hilflos. Geh nur, wenn du meinst.«
Telmaines Magiersinne führten sie eine weitere Treppe hinauf zu Kips Zimmer. Auf ihr Klopfen hin öffnete der Apotheker die Tür, und sein Gesicht entspannte sich, als er sie peilte. »Prinzessin Telmaine.«
»Seid so gut und lasst mich ein«, sagte sie. Trotz der ernsten Lage kam sie nicht umhin, das Zimmer neugierig zu sondieren, da es bis vor kurzem noch Ishmaels gewesen war. Sie wurde enttäuscht: Ishmael häufte keine Besitztümer an. Ihre eigene Sammlung von Kleinkram und Glas und Schmuck würde er vermutlich noch weniger verstehen als Balthasar, der zumindest eine Schwäche für Bücher hatte.
»Schön zu sehen, dass Sie wieder auf den Beinen sind«, sagte Kip argwöhnisch.
»Sie wissen Bescheid, nicht wahr?«, sagte sie nur.
Ein halbes Achselzucken, die Arme ausgebreitet. »Keine Ausflüchte«, sagte sie. »Sie wissen, was ich bin.«
»Eine Magierin«, sagte er vorsichtig. Als sie daran nicht direkt Anstoß nahm, grinste er dreist. »Ach, deshalb war Magister di Studier so
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