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Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren

Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren

Titel: Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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hatten, doch etwas derart Unmögliches hatte sie noch nie erlebt.
    Dann hörte sie den rasselnden Atem direkt vor sich. Roch Minze und getrocknete Blütenblätter, die den Gestank nach Desinfektionsmitteln, medizinischem Alkohol und verbranntem Fleisch nicht überdecken konnten. Ihr erster, zitternder Peilstrahl erbrachte die vagen Umrisse einer erhabenen, rechteckigen Form, kein Mensch, sondern ein Sarg. Sie spürte keinerlei Lebensenergie. Sie fiel schon fast in Ohnmacht, da siegte die Vernunft über das Entsetzen, und sie sagte sich, dass sie diesen Atem nicht hören würde, wenn er nicht mehr lebte.
    Sie peilte noch einmal, fester. Tam hatte sie am Fuß des Bettes abgesetzt. Die Umrisse deuteten nun auf ein Gittergestell unter dem Bettzeug hin, damit dieses nicht gegen die verbrannte Haut kam. Sie hätte das Bettzeug anheben und darunter greifen können. Das wäre zwar praktisch, doch derart ungehörig, dass sie es gar nicht erst in Erwägung ziehen durfte.
    Die Herzöge Imbré und Rohan saßen auf ihren Sesseln zusammengesunken an der einen Seite des Bettes, Vladimer auf der anderen. Er hatte sich zu seinem Bruder vorgebeugt, als Tam ihm das Bewusstsein nahm, war teilweise vom Sessel aufs Bett gerutscht und lag nun seltsam krumm auf seiner verwundeten Schulter neben Sejanus. Er trug einen schweren Hausmantel, und die nackten Füße gaben sein verkrüppeltes Bein preis. Sein Stock war nicht in Reichweite.
    Dennoch brachte sie instinktiv etwas Abstand zwischen sich und ihn. Sie stützte sich kurz auf Rohans Sessel ab, als sie zwischen die Männer trat, strich mit raschelnden Röcken über Herzog Imbrés gespreizte Beine und schreckte vor der entwürdigenden Pose eines so edlen alten Mannes zurück. Er war auf seinem Sessel seitlich zusammengesunken, hielt mit der ausgestreckten Hand die des Erzherzogs wie ein Mann die eines kranken Jungen. Er war selbst Vater geworden, als der Erzherzog geboren wurde. Seine Tochter war die Frau des Erzherzogs geworden.
    Telmaine kniete nieder, zerknitterte die Röcke ihrer Mutter und kroch mit den Fingern auf dem Laken unter das Zelt, berührte den Verband. Selbst durch den Stoff konnte sie die fiebrige Hitze des Erzherzogs fühlen. Seine Haut versengte ihre Finger und brannte sich bis in ihr Herz.
    Nachdem sie ihn nun berührt hatte, wagte sie, sein eingefallenes Gesicht zu peilen, doch rechnete sie nicht mit neuerlichem Schrecken. Zu hoffen, dass nichts Schlimmeres passieren konnte, war vielleicht auch ein wenig anmaßend gewesen. Sie gab einen Laut von sich, der halb ein Schluchzen, halb ein Flehen um Vergebung war. Der Mann unter ihrer Hand stöhnte und wandte seinen Kopf ruckartig dem Geräusch zu. Sein Atem formte sich zu einem Namen, dem Namen einer Frau. Mitten im Schmerz kam kurz die Erinnerung an das Lachen dieser Frau, die in Seide gehüllte Taille geschmeidig zwischen seinen Händen, die Finger einer Frau wandernd, neckend, an seinem Unterleib hinab. Telmaines Wangen glühten vor Scham. Der Name klang gar nicht nach seiner Gattin. Keine ehrbare Frau trug derart offenherzige Kleider, die eine Berührung nackter Haut so leicht machten. Dass der verwitwete Erzherzog eine Geliebte hatte, war allgemein bekannt, zumindest unter Männern.
    Sie schob ihre linke Hand vor, neben die rechte, verteilte ihre heilende Energie auf beide Hände. Sie holte tief Luft und ließ ihre Magie, ihre Heilkraft, ihn durchfließen. Und statt eines schweren, müden Geistes hielt sie plötzlich etwas Schwebendes in Händen, leicht wie Luft.
    ›Vorsicht!‹, sagte Tam.
    Doch der Erzherzog lächelte, träumte von der Dame mit der geschmeidigen Taille und dem unziemlichen Betragen. Telmaines Knochen schienen aus Blei zu sein. Sie konnte sich kaum am Bett und an Rohans Sessel abstützen und auf die Beine kommen, ohne das Kleid ihrer Mutter zu zerreißen.
    ›Sie kennen nur alles oder nichts, was?‹, sagte Tam. ›Di Studiers Einfluss. Er muss so sein, Sie nicht. Es wird Zeit aufzubrechen, Prinzessin Telmaine.‹
    Der Erzherzog richtete sich auf. Mit einem erstaunten »Was … ?« hielt er Gittergestell und Bettzeug in beiden Händen. Sein Peilstrahl spießte sie auf wie einen Schmetterling und strich über Imbré und Rohan. Seine Hände betasteten das Gestell, die Decke, den Verband an Brust und Armen, die unversehrte Haut in seinem Gesicht. Die Finger strichen zaghaft über seine Wangen, was zeigte, an wie viel er sich erinnerte. Er warf das Zelt von sich, schob die Füße aus dem Bett und setzte

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