Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
sondern auch in der Vielfalt der Speisen. Als Palastwache war Floria – Tochter einer Familie, die auf eine lange Ahnenreihe von Leibgardisten und Auftragsmördern zurückblicken konnte – für das Leben ihres Prinzen und das seiner Schutzbefohlenen verantwortlich. Vor einigen Generationen hatte ein ambitioniertes Oberhaupt der Familie Weiße Hand mit den Tempelmagiern vertraglich vereinbart, jeweils einem Familienmitglied pro Generation einen magischen Schutz zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls zu erneuern, welcher dem Träger Immunität gegen Vergiftungen aller Art verlieh. Die Kosten dafür hatten ihre Familie an den Bettelstab gebracht und in zwei Lager gespalten, doch dessen ungeachtet war dieser Schutzzauber zuerst an ihren Vater vererbt worden und später dann an sie. Damit ging allerdings die Pflicht einher, des Prinzen Vorkoster zu sein, und somit musste sie stets allen Irrungen und Wirrungen seiner Zunge Folge leisten.
Derweil der Prinz sich als fähig erwiesen hatte, zunächst eine gewisse Toleranz und später sogar eine besondere Vorliebe für die pikant gewürzte Kost des Südens zu entwickeln, war Floria dies bedauerlicherweise nicht vergönnt gewesen. Offenbar konnte ihr Schutzzauber bestimmte Gewürze nicht von Giften unterscheiden.
»Ach, ich werde es überleben«, sagte sie und rieb sich den Bauch.
»Dafür gibt es morgen Weißfisch in Milch«, versprach der Prinz. Floria verzog das Gesicht, womit er zweifellos gerechnet hatte.
Der Thronerbe tanzte mit einer seiner Cousinen aus dem Süden, einer aufreizenden jungen Dame, deren volles, braunes Haar zu einer hochgetürmten, steifen Zopftracht verflochten und mit Perlen und Edelsteinen verziert war. Das Mädchen versuchte, den Takt anzugeben, und ihr stocksteifer Rücken war Ausdruck ihres Grolls, von ihrem Tanzpartner derart blamiert zu werden. Fejelis hielt seinen Blick höflicherweise auf ihr Gesicht gerichtet, doch neben Floria lachte der Prinz leise vor sich hin. »Es sollte mich nicht wundern, wenn er gerade darüber nachsinnt, an welcher Strähne er zu späterer Stunde ziehen müsste, um diese Turmfrisur in sich zusammenfallen zu lassen. Ich könnte es ihm vermutlich sagen, aber ich denke, das soll er doch lieber selbst herausfinden.«
Sie betrachtete ihn von der Seite, wohlwissend, dass seine Bemerkung nicht nur so dahingesagt war. Sein Blick schweifte hinüber zu seiner Gemahlin, die inmitten ihres Gefolges auf dem Podest am anderen Ende des Saales saß. Helenjas Frisur wirkte sogar noch prunkvoller als die der jungen Cousine – ihr graumeliertes, halblanges Haar war zu einer verzierten Skulptur geflochten, die an eine Wellhornschnecke erinnerte.
Die Heirat zwischen Nord und Süd war eine politische und ökonomische Notwendigkeit gewesen. Unter den Nordländern hatte diese Maßnahme allerdings zu großer Unbill geführt, und die Verwandtschaft der Prinzgemahlin hatte von Anfang an ihre Ränke gegen Isidore geschmiedet. Sehr zur Empörung des nordländischen Hofstaates – für die adäquate Absetzung eines Herrschers gab es schließlich einen einzuhaltenden Kodex. Bevor die Südländer dies jedoch begriffen, hatten erst zwei von Helenjas Brüdern mit einigen ihrer Anhänger durch die Leibgarde des Prinzen ihr Leben lassen müssen. Doch in diesem Moment verriet das Funkeln in seinen Augen, dass er sich bereits überlegte, welchen Unfug er mit dieser Haarskulptur wohl anstellen konnte. Mochten sich Süd und Nord auch noch so sehr gegeneinander verschwören, der Mann und die Frau hatten für sich eine Übereinkunft erzielt, aus der sogar gegenseitige Zuneigung entstanden war.
Floria wünschte ihm Glück. Ausgerechnet in dieser Nacht würde Helenjas Laune vermutlich keinen Höhepunkt erreichen. Denn Fejelis war weit davon entfernt, ihr Lieblingssohn zu sein. Diese Rolle nahm sein jüngerer Bruder, Orlanjis, ein, der am anderen Ende des Saals, weit weg von Bruder und Mutter, durch die Tanzfiguren schritt. Orlanjis war von einem pausbäckigen, niedlichen Kind zu einem gut gebauten, charmanten Jugendlichen herangewachsen, zu einem durch und durch gutaussehenden Jungen, sehr viel hübscher als sein Bruder. Seine rotbraunen Haare waren kompliziert geflochten und eng um den Kopf gewickelt wie eine Prinzenhaube. Nach Florias Überzeugung gewiss kein Zufall. Fejelis’ sandfarbenes Haar reichte ihm nur bis zu den Schultern und war im schlichten Stil der Nordländer geschnitten – so kurz wie bei einem Diener, hatte sich seine Mutter
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