Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
Etwas, das Sie oder ich jedenfalls nicht können.«
Telmaine schluckte. Sie war mindestens genauso beeindruckt wie entsetzt von der Dreistigkeit dieses Mannes, ihr solch einen Vorschlag zu unterbreiten – ausgerechnet ihr , Telmaine Hearne, Prinzessin Telmaine. Und plötzlich, auf schwindelerregende Weise, graute ihr vor dem, was hinter Kingsleys Gedanken stecken mochte. »Diese … diese Entscheidung bleibt Fürst Vladimer überlassen.«
»Um diese Entscheidung treffen zu können, muss er allerdings am Leben bleiben«, knurrte der Apotheker. »Das Ganze ist einige Hutnummern zu groß für uns, werte Prinzessin. Sollte ich daran irgendwelche Zweifel gehabt haben, bevor diese Kreaturen den Zug in Brand steckten, dann sind sie jetzt verschwunden. Es ist ein wahres Wunder, dass wir alle überlebt haben.«
Sie schluckte erneut. »Ich werde darüber nachdenken«, log sie. Das Letzte, worüber sie jetzt nachdenken wollte, waren die nachtgeborenen Magier. Was mochten die beiden Magierinnen bei Ishmaels Heilung wohl über die Ursache seiner Verausgabung herausgefunden haben? Hatte Ishmael sie bereits versehentlich verraten?
Da der Apotheker allem Anschein nach nicht länger darauf erpicht war, Telmaine herauszufordern, sagte sie: »Ich möchte … ich möchte, dass Sie sich immer in Vladimers Nähe aufhalten. Ich weiß, Sie sind kein Magier – Sie können die Schattengeborenen nicht spüren. Aber Sie wissen, wofür Sie kämpfen, und glauben auch daran.«
»Dachte mir schon, dass Sie so etwas sagen würden«, erklärte der Apotheker, stieß sich vom Boden ab und kam auf die Beine. »Da wären aber immer noch seine Ärzte.«
»Sie scheinen mir doch ein recht einfallsreicher junger Mann zu sein«, erwiderte Telmaine, ohne sich ebenfalls zu erheben.
»Auf jeden Fall ein richtig hungriger«, ergänzte er. »Sobald ich was im Bauch hab, gehöre ich ganz Ihnen.«
2
Floria
Floria Weiße Hand lehnte sich gegen die geschwungene, gläserne Brüstung der Hohen Galerie und ließ ihren Blick über den Ballsaal des Palastes schweifen. In wellenartig fließenden Figuren schritten die Tänzer feierlich über das Parkett. Der gesamte Hofstaat der Lichtgeborenen hatte sich zu einem Zechgelage versammelt, um die Mündigkeit des Thronerben ihres Prinzen zu feiern. Die kräftigen Farben des Nordens vermischten sich mit den gedeckten Erdtönen des Südens, und überall glitzerten Edelsteine im Licht der Lampen, die entlang sämtlicher Fugen der Kassettendecke, in allen Halterungen an den Wänden und um die Säulen der Galerie herum angebracht waren. In diesem Saal waren keine Schatten erlaubt.
Wie die Leute es nach dem stundenlangen Festmahl fertig brachten zu tanzen, war Floria allerdings schleierhaft. Sie selbst wollte im Grunde nichts anderes, als sich ein ruhiges Plätzchen zu suchen, um mit ihrem empörten Magen zu verhandeln.
An ihrer Seite sagte Prinz Isidore mit sanfter Stimme: »Er hat sich recht gut entwickelt, nicht wahr?«
Der Herrscher der Lichtgeborenen lehnte so gelassen neben ihr auf der Galerie, als wäre er nur einer seiner Leibwächter und nicht deren irdischer Herr und Meister höchstpersönlich. Das königsblaue Gewand und die saphirbesetzte Prinzenhaube durften allein vom Prinzen und dessen Nachkommen getragen werden. Der Hauptmann der Leibgarde deckte des Prinzen Rücken, und jeweils ein Oberleutnant dessen Seiten – sie schützten seine Person und für den Moment auch seinen Frieden.
Floria folgte Isidores Blick zur Mitte der Tanzenden und entdeckte die schlaksige Figur von Fejelis, seinem Erben. Fejelis tanzte so, wie er nahezu alles tat: mit Aufmerksamkeit, höchster Präzision und einem wahrnehmbaren Zögern, bevor er sich endgültig festlegte. Er war konstant einen halben Schlag hinter der Musik. Sie fand es geradezu erhellend, wie sich das auf seine Partnerinnen auswirkte.
»Diesen Tanz sehe ich besonders gern von oben«, bemerkte der Prinz. »Allein aufgrund der Wellenbewegungen. Ich habe gehört, der Ursprung dieses Tanzes geht Jahrhunderte zurück bis in Zeiten weit vor der Spaltung. Damals war er ein Ausdruck für die Verehrung des Meeres.«
Floria gab einen Laut von sich, der eher pflichtschuldig als wissbegierig klang.
»Sie sehen ein wenig fahl aus, Mistress Floria.«
»Nur eine Magenverstimmung, mein Prinz«, erklärte sie.
»Oh«, sagte er mit einem Hauch Besorgnis in der Stimme. Des Kronprinzen gemischte Herkunft fand nicht allein Ausdruck in der Dekoration, den Tänzen und der Musik,
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