Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
Besuchern zur Zeremonie nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, sich um das Wohlergehen des Prinzen zu kümmern. Abgesehen von einem kurzen Nickerchen zwischendurch waren ihre Tage gänzlich damit ausgefüllt gewesen, Wache zu stehen und Speisen vorzukosten.
Morgen sollte es ihr jedoch möglich sein, ihren Posten zu verlassen – wenn auch nur für ein paar Stunden. Dann konnte sie nach Hause gehen und per Tageskurier eine Nachricht an den erzherzoglichen Palast schicken. Herausfinden, wie es Bal, Florilinde und selbst Balthasars spröder Ehefrau ergangen war.
Isidore sagte: »Fejelis ist der Meinung, dass die Nachtgeborenen für unsere Zukunft überaus wichtig sind.«
Schwungvoll wandte sie ihren Kopf zur Seite und sah ihn an. Er drehte sich halb zu ihr um, sein vornehmes Gesicht im Dreiviertelprofil. Die sich der Kopfform anschmiegende Prinzenhaube nahm die Linien seiner Wangenknochen auf und zeichnete den Schwung seiner Augenbrauen nach. Sie tauschten Blicke – ihrer unschlüssig, seiner ruhig. Seine Augen waren von so hellem Grau, als wären sie aus Silber, wie zwei kleine Spiegel. Über einige Dinge konnte selbst ein Prinz nicht offen sprechen.
Vor siebenhundert Jahren hatten sich die letzten verbliebenen lichtgeborenen Magier der Gnade des mächtigsten Befehlshabers ihres gespaltenen Landes unterworfen. Aus dieser Übereinkunft war ein Pakt erwachsen, der bis zum heutigen Tag die Grundlage für jedwede Verwendung von Magie in allen Angelegenheiten der magielosen Lichtgeborenen – der Erdgeborenen – bildete. Dieser Pakt verbot den Magiern, ihre Kräfte in eigenem Interesse für oder gegen Erdgeborene zu benutzen. Statthaft war dagegen der Einsatz von Magie für oder gegen Erdgeborene auf Geheiß eines Erdgeborenen selbst. Auf dieser Grundlage hatte sich ein komplexes und starres Regelwerk entwickelt, das darüber befand, wann und wie ein Erdgeborener die Dienste eines Magiers mit einem rechtmäßigen Vertrag in Anspruch nehmen konnte. Alle vertraglich festgelegten Handlungen unterlagen der Verantwortung des Erdgeborenen – somit genoss jeder Magier per Gesetz Immunität.
Allein deshalb hatten die Magier überlebt, und jener Befehlshaber blieb bis ans Ende seiner Tage der Herrscher des Tageslichtlandes. Floria fragte sich, ob er auch auf diesen Pakt eingegangen wäre, wenn er sich damals hätte ausmalen können, dass aus den wenigen Dutzend verzweifelter Antragsteller irgendwann Tausende werden würden, unter denen zudem noch einige waren, die genügend Macht besaßen, um im Grunde unsterblich zu werden oder einen Sturm heraufzubeschwören oder – Gerüchten zufolge – sogar die Zeit zurückzudrehen. Wenn er sich hätte vorstellen können, dass der Palast der Erdgeborenen, so groß er immerhin war, eines Tages von einem viermal so hohen Tempelturm überschattet werden würde. Oder dass die jahrhundertelange Übertragung von Reichtümern aus unzähligen Vertragsabschlüssen seinen Staat aushöhlen würde.
Hätte er all das gewusst, wäre es seine Pflicht gewesen, den Antragstellern an Ort und Stelle die Herzen durchstoßen zu lassen, oder er hätte es nach Recht und Billigkeit verdient, abgesetzt zu werden.
Die Nachtgeborenen hatten sich gar nicht erst auf einen solchen Handel eingelassen, sondern alles Magische an den Rand der Gesellschaft verbannt, und nichtsdestoweniger waren sie erfolgreich. Innerhalb der lichtgeborenen Gesellschaft gab es idealistisch-radikale Gruppierungen, die ihrem Beispiel gern folgen wollten, um sich aus ihrer Abhängigkeit von der Magie zu befreien. Einer Abhängigkeit, die sich sogar – Floria blickte zur Decke – auf jene Lampen erstreckte, ohne die sie die Nächte nicht überleben würden.
Der Tanz war zu Ende. Kaum hatte Fejelis sich vor seiner Partnerin verbeugt, drängte sich bereits eine andere südländische Cousine durch die Menge, um ihn für sich zu beanspruchen. Sie war so hellblond wie die Erste dunkelhaarig, aber nicht minder wohlgeformt und geschmeidig. Floria argwöhnte einen Feldzug, entweder von Helenja oder von sonst jemandem. Nach Isidores nicht nur so dahingesagter Bemerkung über seinen Sohn schien ihn die Vorstellung nicht sonderlich zu beunruhigen, dass Fejelis sich mit einer Südländerin verbünden könnte.
Floria hatte dazu eine andere Einstellung. Schließlich war sie es ja auch, die seit achtzehn Jahren jedes Gericht und jedes Getränk des Prinzen gekostet hatte. Und Fejelis’ Sicherheit war vermutlich eher gewährleistet, wenn die
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