Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
Grenzlanden? «, wiederholte er, völlig verwirrt angesichts der Nebensächlichkeit dieser Frage. Die Grenzlande waren den Nachtgeborenen bereits vor so langer Zeit überlassen worden, dass sich dort kaum noch irgendwelche Spuren von Lichtgeborenen finden ließen. Alle Bauwerke waren entweder von der Natur zurückerobert oder von den Nachtgeborenen ummantelt worden, um dort Ställe und Wälle zu bauen, die mittlerweile ebenfalls verfallen waren. In den Grenzlanden lebten nur diejenigen Lichtgeborenen, die für die Eisenbahn der Nachtgeborenen arbeiteten und eingewilligt hatten, die Strecke durch die Grenzlande zu warten – Einzelgänger, Halunken, Exzentriker, Flüchtlinge oder schlicht und ergreifend solche, die verzweifelt Arbeit suchten.
»Gewisse Gründe haben mich vor einigen Jahren dorthin geführt«, sagte Lukfer.
Tam erinnerte sich genau an Lukfers Abwesenheit, da es für seinen Meister die erste und einzige Reise gewesen war, doch zu jener Zeit verbüßte Tam noch immer seine Strafe – der Tempel hatte ihn der Stadt verwiesen und seine Kräfte gebannt. Lukfer hatte ihm nie erzählt, warum er die Grenzlande aufsuchen musste, und jetzt tat er es auch nicht. »Hast du irgendeine Vorstellung davon, warum dort so gut wie keine Lichtgeborenen leben?«
»Ich … also, wenn ich überhaupt je darüber nachgedacht habe, dann bin ich wohl davon ausgegangen, dass es an der drohenden Gefahr durch die Schattengeborenen lag. Aber was hat das damit zu tun?« Er deutete auf den Talisman.
»Die Nachtgeborenen dagegen sind dort geblieben, obgleich sie durch ihre Blindheit und ihre mangelnde Magie im Grunde nicht geeignet sind, diese Kreaturen zu jagen und wieder über die Grenze zurückzudrängen. Ich stand in einem kurzen Briefwechsel mit einem ihrer Schattenjäger, seines Zeichens ein niederer Magier. Du hast sicher schon von den Glasen gehört, diesen Kreaturen, die Männer verhexen, um sie dann langsam bei lebendigem Leib zu verschlingen.«
Tam kannte diese Geschichten von früher. Kinder erzählten sie ihren leichtgläubigen Freunden, um ihnen Angst einzujagen. Aufgrund seiner persönlichen Erfahrung mit Einschüchterungen jedoch hatte er keine dieser Geschichten geglaubt. Das hatte er damals jedenfalls behauptet.
»Aus wilder Fantasie entsprungene Ungeheuer? Vielleicht«, sagte Lukfer. »Doch das« – eine Geste in Richtung des Beutels – »ist keine Einbildung. Diesem Magier, mit dem ich korrespondiert habe, war die Beschreibung meiner Wahrnehmungen wohl vertraut.«
Tam brauchte einen Moment, bis er verstand. »Sie glauben, es sei schattengeborene Magie?«
»Davon bin ich überzeugt. Ich spüre sie nicht zum ersten Mal.«
»Dann ist das also der Grund, warum wir die Grenzlande verlassen haben. Die fortwährende Aura dieser Magie.« Das wiederum konnte Tam durchaus nachvollziehen.
Lukfer legte seine Fingerspitzen aneinander und blickte starr darüber hinweg auf etwas, das Tam nicht sehen konnte. »Du hast gesagt, im Palast habe sich nicht einer der Magier so verhalten, als hätte er das Kästchen bemerkt. Ich bin fest davon überzeugt, dass es grundsätzlich keinem der reinrassigen Tempelmagier möglich gewesen wäre.«
Ungläubig starrte Tam ihn an.
»Oder ist dir etwa auf deinem Weg hierher irgendetwas aufgefallen, was darauf hindeuten könnte, dass sie es doch wahrgenommen haben?«
»Wäre das den Meistern der Blutlinien denn nicht aufgefallen? Diese Fähigkeit hätten sie doch gewiss wieder hinzugezüchtet, oder nicht?«
Nun sah Lukfer ihn aus seinen goldfarbenen Augen direkt an. »Ich hege keinerlei Zweifel, dass sie es versucht haben. Möglicherweise ist es ihnen nicht gelungen. Oder sie waren erfolgreich, fanden aber keinen Gefallen am Ergebnis. Vielleicht geht mit dieser Fähigkeit eine Verringerung der magischen Kräfte einher – Wildschläge, so machtvoll wie wir, gibt es nur sehr selten. Selbst den Meistern der Blutlinien gelingen Züchtungen nicht immer.« Unter karminrotem Stoff zuckten seine Schultern. »Welche Gründe es dafür auch geben mag, offensichtlich können die Magier der Blutlinien eine potenziell tödliche Form der Magie weder spüren noch beeinflussen.«
»Mutter Aller Dinge«, hauchte Tam. Das Ganze schien vollkommen unglaubwürdig, und dennoch erklärte es, warum dieses kleine, tödliche Kästchen unbemerkt geblieben war. »Meister, ist dem Erzmagier und den anderen bekannt, dass diese Magieform nun auch hier in der Stadt existiert?«
»Nein«, sagte Lukfer mit
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