Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
wiederhergestellt werden können, doch weder die Bemühungen der Tempelmagier noch seine eigenen ermöglichten es ihm, seine Kräfte zu kontrollieren. Mittlerweile hätte er eigentlich einer der Hohen Meister sein sollen, denen diese Räume rechtmäßig zustanden. Stattdessen war er jedoch nur das Mündel eines Hohen Meisters, jemand, den der Tempel gern in der Nähe wusste, um ihn bei Bedarf besser im Zaum halten zu können. Einzig das Leben im Halbdunkel, so beunruhigend es auch war, zähmte gewissermaßen seine Kräfte, da sie sich unablässig damit verzehrten, ihn von der im Halbdunkel beginnenden Zersetzung zu heilen.
Lukfer zu begegnen und zu erkennen, wie viel härter ihn selbst das Schicksal hätte treffen können, war für Tam – den einst so mürrischen Rüpel, den Darien Weiße Hand vor die Hohen Meister geführt hatte – eine durchaus heilsame Erfahrung gewesen. Als Tam inmitten des hell erleuchteten Amphitheaters in der Turmspitze gestanden hatte, war ihm der verschwenderische Wohlstand um ihn herum zuwider gewesen, und mit missmutiger Miene hatte er die Beratung über sein Schicksal geflissentlich ignoriert. Er erinnerte sich noch genau daran, dass seine Bitterkeit und sein tief sitzender Groll plötzlich auf ihn zurückgeworfen wurden wie von einem Spiegel der Gefühle. Tam war herumgefahren und hatte die Gestalt angestarrt, die dort über den breiten Stufen schwebte: ein Bär von einem Mann, kahl und ganz in Schwarz.
»Das ist also der neue Wildschlag«, hatte der Mann gesagt. Tam war vom Klang dieser Stimme regelrecht gebannt gewesen, sie erinnerte ihn an das samtige Knurren eines Wolfes. »Sechster Rang, vielleicht siebter, nach dem, wie er sich anfühlt. Passen Sie gut auf ihn auf, oder Sie haben bald noch so einen wie mich.« An Tam gerichtet sagte er: »Ich bin Lukfer. Über mich wird dir noch so einiges zu Ohren kommen – und manches davon ist sogar wahr. Sobald du dich einigermaßen im Griff hast, komm mich besuchen.«
Und das hatte Tam auch getan – trotz allem, was ihm über Lukfer zu Ohren gekommen war. Er hatte in ihm einen unberechenbaren Lehrer und wahren Freund gefunden.
»Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte er nun.
Lukfer hatte ihn bereits die ganze Zeit angestarrt, und jetzt deuteten sein Blick und sein ausgestreckter Zeigefinger auf Tams Tasche. » Was ist das? «
Tam hätte eigentlich nicht überrascht sein dürfen, auch wenn er noch versucht hatte, das Ding abzuschirmen, bevor er es mit in den Turm nahm. Mit spitzen Fingern förderte er einen kleinen Beutel zutage und setzte ihn ungeöffnet auf der breiten Armlehne von Lukfers Sessel ab.
» Das – der Inhalt – befand sich in den Gemächern des Prinzen.« Er stockte, wollte den anderen Mann warnen, der so sehr unter seiner Empfindsamkeit zu leiden hatte.
Lukfer kniff die Augen zusammen, seine Magie pulsierte, und der zuckende Beutel spuckte den Inhalt einfach aus. Das Ding glitt über die Armlehne, blieb jedoch kurz vor der Kante liegen.
Es handelte sich um ein achteckiges Kästchen, im Durchmesser etwas kleiner als eine Handfläche, wie es die Nachtgeborenen für Parfümseifen verwendeten. Das Kästchen war mit feinen Schnörkeln und winzigen Blumenzweigen verziert, bestand jedoch aus verschiedenfarbigen Hölzern und fleckigem Elfenbein. Der Kunsthandwerker, der zu solchen Schnitzereien fähig war, hätte derart unansehnliches Material von vornherein ablehnen sollen. So er denn in der Lage gewesen wäre, es zu sehen. Das Kästchen roch zwar noch ein wenig nach Sandelholz, aber dessen magische Aura stank nach Verwesung. Lukfers massiger Körper schauderte, und Tams wachsende Übelkeit drohte, seine Selbstbeherrschung zu untergraben. Vermutlich würden sie sich beide die Seele aus dem Leib speien. »Verzeihung.« Tam schnappte sich den Beutel und stülpte ihn über das Kästchen, als finge er mit einem kleinen Kescher einen Giftkäfer. Doch Lukfers Hand im schwarzen Handschuh packte ihn beim Arm. »Nicht!«
Tam schluckte schwer, und als Lukfer ihn wieder losließ, trat er zurück. Von der Tür aus – als hätte das einen Unterschied gemacht – beobachtete er Lukfer dabei, wie dieser bedächtig seine Handschuhe auszog, um das Kästchen mit bloßen Händen zu berühren. Tam schluckte noch schwerer.
Nach eingehender Betrachtung legte Lukfer das Ding ab. »Jetzt kannst du es wieder in den Beutel stecken.«
In die Armlehnen gekrallt, beobachtete Lukfer, wie Tam den Beutel über dieses bösartige Etwas stülpte und ihn mit
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