Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
Telmaine verspürte beileibe nicht den Wunsch, darauf zu reagieren; sie hatte noch nie eingesehen, warum sie und Floria sich mit Vornamen anreden sollten. Und mit diesem Makel, der an ihr haftete … »Telmaine«, beharrte Floria, »geht es Balthasar gut? Wo ist er?«
»Balthasar geht es gut«, antwortete sie höflich. »Danke der Nachfrage.«
Die Frau auf der anderen Seite der Wand gab ein ersticktes Lachen von sich. »Hierbei handelt es sich wohl kaum um einen Freundschaftsbesuch, Telmaine, nicht zu dieser Stunde.«
»Mistress Weiße Hand beruft sich auf das altehrwürdige Gesetz der Nothilfe«, bemerkte Vladimer sachlich. »Sie erreichte den Palast, als die Sonnenglocke bereits läutete. Nun befindet sie sich in einem der Räume, die für solche Zwecke vorgesehen sind. Es versteht sich von selbst, dass sie eine Lichtquelle mitgebracht hat.«
»Wer sind Sie, mein Herr?«
»Ich handle im Interesse von Fürst Vladimer Plantageter«, erwiderte Vladimer. »Deshalb bedenken Sie, dass ihm alles, was Sie sagen, zu Ohren kommen wird.« An einer Seitenwand stand ein kleiner Tisch mit diversen Gerätschaften zur Aufzeichnung von Gesprächen. Er legte seinen Stock quer über den Tisch und ließ sich auf dem Stuhl daneben nieder. Telmaine stellte sich an seine Seite, schickte ihre Magiersinne durch die Wand hindurch.
»Also gut, mein Herr«, sagte Floria. »Ich nehme Sie beim Wort. Hiermit muss ich Sie um Asyl bitten, da ich unter Verdacht stehe, an der unrechtmäßigen Absetzung des Prinzen beteiligt gewesen zu sein. Ich hatte gehofft, Balthasar Hearne wäre hier, um in meinem Namen Fürsprache einzulegen.«
Vladimers linke Hand glitt in seine Tasche, und er verlagerte sein Gewicht nach vorn. »Das haben Sie bisher nicht erwähnt.«
»Richtig«, erklärte sie. »Ich wollte mit jemandem sprechen, der die Befugnis hat, meine Bitte um Asyl zu bewilligen.«
Während Vladimer über dieses Gesuch nachdachte, stand Telmaine neben ihm und hielt die Luft an. Es dauerte eine ganze Weile, dann lehnte er sich sachte, um seinen Arm zu schonen, wieder zurück und bedeutete Telmaine, sich auf einen der anderen Stühle zu setzen. »Bitte erzählen Sie uns alles, was Sie über den Tod des Prinzen wissen. Bedenken Sie, dass alles, was Sie sagen, Fürst Vladimer zu Ohren kommen wird.«
Falls er glaubte, sich durch die Verheimlichung seiner Identität schützen zu können, dann sollte er seinen Unterton besser etwas zügeln, dachte Telmaine. Floria Weiße Hand war scharfsinnig genug, diesen herauszuhören.
Nach kurzem Zögern sagte die Frau auf der anderen Seite der Wand: »Gestern Abend hat sich der Prinz zu späterer Stunde als gewöhnlich in seine Gemächer zurückgezogen – bei Hofe fanden die Feierlichkeiten zu Fejelis’ Mündigkeit statt. Die Sicherheitsvorkehrungen in seinen Zimmern wurden wie üblich von den Magiern, die im Dienste des Palastes stehen, überprüft. Die Leibwächter haben ebenfalls ihre vorschriftsmäßigen Inspektionen durchgeführt. In den prinzlichen Gemächern hielten sich außerdem noch ein Sekretär, ein Diener und der Hauptmann der Leibgarde auf. Irgendwann im Laufe der Nacht fielen plötzlich alle Lampen aus. Anhand der Fundorte der sterblichen Überreste wissen wir, dass es ohne Vorwarnung geschehen sein muss, denn keiner von ihnen hatte zu entkommen versucht.«
Telmaine brauchte einen Moment, um zu begreifen, was Floria damit meinte: Während das Tageslicht die Nachtgeborenen zu Asche verbrannte, zersetzte die Dunkelheit die Lichtgeborenen zu … ihren Töchtern hatte Balthasar erzählt, sie würden zu Wasser, und ihr selbst, die es ohnehin nicht hatte wissen wollen, erzählte er so gut wie gar nichts. Die Lichtgeborenen waren ihr einfach zu sehr mit Magie vertraut, als dass sie mehr über sie wissen wollte. Sie zog es vor – oder hatte es bisher vorgezogen – , ihre Wissenslücken zu bedauern, anstatt im Nachhinein allzu tiefe Einblicke zu bereuen.
»Fahren Sie fort«, sagte Vladimer ungerührt. »Die Lampen fielen also aus, sagten Sie. Warum?«
»Was wissen Sie darüber, wie wir das Sonnenlicht auch während der Nacht nutzen können, Herr mit den fürstlichen Ohren?«
Telmaine erstarrte, fragte sich, wie diese Frau es wagen konnte, ihn aus ihrer Position heraus derart zu provozieren, doch offenbar war Vladimers unberechenbare Laune zu Scherzen aufgelegt. »Mittels Magie, nehme ich an.«
»Die Lampen fangen tagsüber das Licht der Sonne auf und geben es nachts wieder ab. Da Magie mit dem Tod
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